Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Rösselsprünge, die deine Phantasie im Schlaf vollführt?
Das Mem, das sich wieder in Erinnerung gebracht hat ...
Ich muss das Ding bekommen, das du da in diesem Traum soselbstverständlich um den Hals trugst, als wärst du Felice Lascari, Vater.
Mir fällt die Decke auf den Kopf. Ich muss raus hier. Muss von diesem Wien etwas anderes sehen als das, was ich bisher kennengelernt habe. Die Stunde bei Felice ist erst für den späten Nachmittag angesagt. Ich habe Zeit.
In ihrem südfranzösischen lackierten Mantel, mit Galoschen und Regenkappe macht sie sich auf in Richtung der Leopoldstadt, wo am Horizont das Riesenrad schwebt, das sie schon mehrfach von fern gesehen hat. Die Insel zwischen Donau und Donaukanal, die bisher außerhalb ihres Interesses lag. Ein Riesenrad, ein Vergnügungspark, der Augarten, der Prater ... Sie hatte anderes im Kopf.
Als sie zu einem Platz kommt (dem Schwedenplatz, wie sie liest), hat der Regen aufgehört. Es ist diesig und dunstig.
Hinter ihr liegt das Wien, das sie kennt, das reiche, das elegante, mit Stephansdom und Kärntnerstraße, mit Burgtheater und Börse und der Augustinergruft, wo die Kaiser liegen. Und vor ihr liegt jetzt die Brücke, die über den Kanal führt, hinüber zur Leopoldstadt.
Sie betritt die Brücke, und in dem Augenblick, als sie den Fuß auf das Pflaster setzt und die ersten Meter hinter sich gelassen hat, ist sie woanders. Genau in der Mitte dieser Brücke, hingelehnt an die gusseisernen Segmente des Geländers, sitzt ein zerlumpter Mann. Ein alter Jude mit langem Bart. Er hat die Augen geschlossen. Mit gekreuzten Beinen hockt er da, auf dem Kopf ein zerbeulter Hut. Beide Hände hält er ausgestreckt – Hände, so schmutzig, dass sie grau aussehen. Neben ihm liegt eine kleine Geige. Der Steg ist zerbrochen, Saiten fehlen und ein Bogen ist auch nicht da. Nichts kann hoffnungsloser sein als dieser alte Mann.
Leonie schaudert. Sie schaudert so sehr, dass sie es nicht über sich bringt, in diese ausgestreckten verkrümmten Hände das Geldstück zu legen, das sie eigentlich geben will. Sie eilt weiter.
Hinter der Brücke ein großer Zeitungskiosk; »Tabak-Trafik«steht ihm auf der Stirn geschrieben. Zwischen den beiden Worten prangt die rot-weiß-rote Fahne mit dem österreichischen Adler. (Trafik, das soll wohl Handel heißen)
Zwei Straßen gehen ab. Rechts eine große breite, die Praterstraße, links eine schmalere, die Taborstraße. Auf der linken Straße bewegen sich Gestalten, die kennt sie, die sind hier wie in Berlin. Langer dunkler Kaftan, Schläfenlocken, Hut. Immer mindestens zu zweit und im Gespräch. Ist sie im Scheunenviertel Wiens gelandet?
Sie fühlt, dass ihr Atem schneller geht ...
Nur dass es hier eben doch anders ist. In Berlin sind die Straßen des Judenviertels so eng und die Häuser so hoch, dass man zu ersticken glaubt in Lärm, Gestank und Gewühl. Hier ist der Weg breiter, es führt sogar eine Tram entlang. Und die Häuser sind längst nicht so heruntergekommen wie in Berlin. Jedenfalls nicht alle. Es ist irgendwie ... anders gemischt. Zwischen stattlichen Wohngebäuden mit verzierten Fensterstürzen und Stuck überm Eingang, der nur gerade mal ein bisschen abbröckelt, finden sich auch alte heruntergekommene Häuser, schmalbrüstig, und windschiefe Durchgänge zu Hinterhöfen, die wie verschimmelt wirken.
Leonie fühlt sich in eine andere Welt versetzt. Das Pflaster ist schwarz vor Feuchtigkeit. Überall plätschert und rieselt es; aus Dachtraufen und Regenrinnen gurgelt das Wasser in die Abflüsse, platscht aus zerbrochenen Röhren direkt auf die Straße. Dunst zieht in Streifen wie Nebelschwaden vorüber, hüllt die Gestalten ein, lässt sie wieder frei.
Wie im Berliner Scheunenviertel sind sie auch hier, die kleinen Läden mit den Inschriften in Deutsch und Hebräisch. Da sind auch die Händler, Hut auf dem Kopf, grüne Schürze überm Jackett, die davorstehen und auf Kundschaft warten, da sind die tobenden und schreienden Kinder. Aber da gibt es eben andererseits auch stolze, nobel gekleidete Herren im Mantel mit Pelzkragen, die Handschuhe in der Hand, die gemessen durch das Gewühl schreiten, um ihre Geschäfte zu tätigen.
Und, ebenfalls im Gegensatz zu Berlin: Kaffeehäuser! Eins neben dem anderen.
Ziellos streift sie hin und her, verirrt sich im Gassengewühl zwischen Tabor- und Praterstraße; Gassen, die ihr Gesicht so schnell wechseln wie ein Spieler, der sich ständig andere Masken aufsetzt. Eben noch würdevolle
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