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Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2

Titel: Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Fassaden, gemeißelte Fensterbögen und Türstürze. Dann ist die Herrlichkeit vorbei. In der kleinen Schiffsgasse riecht es nach Zwiebeln und Petroleum, nach Hering und Seife. Staub rieselt herab aus dem Fenster, wo jemand einen Teppich ausschüttelt, Bettfedern schwimmen in der feuchten Luft. Leonie hustet und ein paar Kinder umringen sie, schreien gellend etwas, was sie nicht versteht.
    Schneiderwerkstätten noch und noch. Durch die offenen Türen sieht sie bärtige Männer mit Käppchen auf dem Kopf über Nähmaschinen gebeugt, als wären sie mit ihnen verwachsen. Und überall große Reklametafeln, meist von Hand geschrieben. Man verkauft in dieser Gasse hauptsächlich Tuchreste und alte Kleider.
    Dann ist sie plötzlich auf einem Marktplatz, der so überfüllt ist von Redenden, Handelnden, Kaufenden und Verkaufenden, dass sie sich kaum ihren Weg bahnen kann. Händlerinnen schreien gellend ihre Waren aus. Hühner, Eier, alte Uniformmäntel, »so Reste von Krieg«. (Der Krieg ist sechs Jahre vorbei ...) Der Karmelitermarkt! Dort, wo es auch die Gewürze gibt, wie ihr der Händler an der Wienzeile gesagt hat. Mühsam bahnt sie sich ihren Weg durch Gruppen gestikulierender Männer, vorbei an Frauen mit Tüchern oder schlecht sitzenden Perücken auf dem Kopf, findet zurück zur Taborstraße.
    Und wieder ganz anders als im Berliner Scheunenviertel! Leonie sieht, hier sind nicht nur stattliche Wohnhäuser wie die, an denen sie schon vorbeigekommen ist. Es gibt weitere prunkvolle und reich verzierte Gebäude wie die »Produktenbörse« – was eine große Markthalle ist – oder die Synagogen, die sie hier Tempel nennen. Zwei nebeneinander: der »Große Tempel« und daneben der »Türkische Tempel«, der, wie sie aus der Inschrift sieht, das Gebetshaus der aus der Türkei gekommenen Juden ist, der Spaniolen.
    Der stolzen Sepharden, von denen Felice so bitter gesprochen hat.
    Arm und Reich – in diesem Wiener »Scheunenviertel« liegt es dicht nebeneinander, gehört zur selben »Medine«.
    Und dann entdeckt sie die ersten Theaterplakate. Die protzige Schrift, die klobigen Buchstaben, Deutsch und Hebräisch, wie bei den Bühnenankündigungen in Berlin. Wie bei Laskarows Deutsch-Jüdischem Künstlertheater, wo sie, Leonie, das Theaterhandwerk erlernt hat. Nun, wo ihr Augenmerk darauf gerichtet ist, findet sie sie allüberall.
    In beinah jedem der prächtigen, groß aufgemachten Hotels, auf die sie als Nächstes trifft, gibt es offenbar eine jüdische Bühne. Im Hotel Stefanie (sehr nobel, Stuck, Drehtür, geraffte Gardinen), im Bayrischen Hof, im Volksorpheum. Da war auch irgendwo ein Kabarett, die Rolandbühne. Leonie ist noch nie in einem Kabarett gewesen.
    Sie liest die Plakate, gierig liest sie sie. Man spielt doch tatsächlich die »Sulamith« in dem einen Haus, ihre erste Rolle, die Rolle, mit der sie da oben auf der »Bühne« in den Felsen bei Hermeneau ihre Arbeit begonnen hat! Mit der sie ihren »Dibbuk« unbewusst herbeigerufen hat ... Wer hier wohl den Abisalom gibt, die Rolle, in der sie Schlomo das erste Mal auf der Bühne gesehen hat?
    Ein Stück heißt »Der Singer fon sein Trauer«. Der Sänger seiner Traurigkeit. Ja.
    Es ist, als seien die Tage von Wien ausgelöscht, die Tage, die ich schon hier bin. Mir scheint, ich bin nie im Stadtpalais in Hietzing gewesen, bin nie im Fiaker durch die Stadt geschaukelt worden, um zwölf paar Handschuhe einzukaufen, habe nie in der Loge im Burgtheater gesessen ... Ich bin wieder da, wo alles begann. Im Viertel der Juden. Ich bin auf der Suche nach einem Theater, das dem von damals gleicht, wo die einfache dicke Frau in der Strickjacke (wie Schlomo einmal die »Idealzuschauerin« nannte), inmitten der anderen redenden, gestikulierenden, rufenden, rauchenden, essenden, lachenden und weinenden Besucher sitzt unddarauf wartet, dass der Vorhang aufgeht, um sie wegzutragen in eine Welt, wo Gut noch Gut ist und Böse Böse, wo die Helden heldenhaft sind, die Frauen schön und die Schurken aussehen, wie es sich gehört. Wo dies Stück gegeben wird, das heißt: »Der Singer fon sein Trauer.« Der Sänger seiner Traurigkeit. Ich habe keine Ahnung, um was es in dem Stück geht. Ich muss es auch gar nicht wissen. Der Titel allein reicht mir.
    Einen verwirrten Augenblick lang habe ich so ein Gefühl, als wenn Schlomo Laskarow den nächsten Moment um eine Straßenecke biegen könnte, im offenen Mantel, das lockige Haar bewegt vom Wind. Er ist hier irgendwo, kann doch nicht tot sein,

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