Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
nicht gewesen wäre. Und dieser Partner ...
Nachdem er mich fallengelassen hat, kann ich mit ihm doch nicht Theater spielen! Andererseits: Ich muss es zumindest versuchen. Ich will ja schließlich auf die Bühne. Und der Teufel soll Schlomo Laskarow holen. Der ist auch bloß ein Komödiant.
Sie schluckt. Stellt sich dem herumtigernden Prinzipal (der sich schon das spärliche Haar rauft) in den Weg. »Herr Laskarow, ich möchte – also ...«
»Was denn, Kind?« Der alte Herr ist genervt. »Du siehst doch, was hier los ist.«
Leonie wirft einen Blick zu Schlomo herüber. Der sieht sie an. Interessiert und mit gespannter Erwartung. Ja. Also los.
»Ich kann die Sulamith spielen.«
Auf einmal ist es still auf der Bühne. Sogar die Arbeiter, die gerade den unsagbaren Brunnen aufstellen und den Hintergrundprospekt einhängen, machen nicht weiter.
Es ist nicht so, dass Laskarow vor Verblüffung der Mund offen steht oder sie gar auslacht. Dazu ist der Prinzipal viel zu sehr da ran gewohnt, zu improvisieren, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen, sich irgendwie durchzuwinden. Für ihn ist auf dem Theater kein Ding unmöglich.
Er betrachtet das junge Mädchen vor sich mit hochgezogener Braue, sieht sie sozusagen auf einmal ganz neu.
Dann, mit einer halben Kopfdrehung zu seinem Sohn: »Schlomo?«
Leonie begreift: Vom Ja oder Nein des Heldendarstellers hängt es ab, was jetzt geschieht: »Buntes Programm« oder die unbeleckte Kleine, von der man, was das Theater betrifft, nichts weiß, außer dass sie hier immer in der Gasse gestanden und zugeguckt hat.
Sie senkt die Lider. Soll er sie doch, verdammt noch mal, endlich ganz in die Wüste schicken ...
Dann hört sie die weiche, klar artikulierende Stimme: »Ich denke, dass Leonie das kann.« –
An die nächste halbe Stunde erinnert sie sich später nur undeutlich. Während Rosa, die alte Souffl euse, ihr das Kostüm anpasst, den allzu engen Gurtbund des Fräulein Minas gegen eine bequeme Schärpe austauscht und ein Kopftuch mit Fransen heraussucht (Leonie hat nun mal keine langen Haare), sitzen die beiden Laskarows daneben und überschütten sie mit Anweisungen.
»Wir spielen die Sabbatfassung«, verordnet der Prinzipal (das ist die um eine Stunde gekürzte Form), »und lassen alle Lieder weg. Sei nicht böse, Puppchen, ich kenn deine Singstimme nicht. Wir streichen außerdem den großen Monolog und das Duett zu Anfang. Kommst du klar mit die Ufgeng?«
(Womit er die Auftritts- und Abgangsorte meint.) Leonie nickt.
»Aber das Schlussduett von Sulamith und Abisalom?«, fragt sie.
»Wenn wir erst am Schlussduett angekommen sind, dann werden wir singen das Schlussduett«, sagt Schlomo bestimmt und verfällt schon in den Tonfall des Stücks. Und zum Vater: »Und lass uns machen vorher Ansage, dass hier die junge Dame rettet die Vorstellung. Ihr Name ist einfach Leonie L.«
»Leonie L.«, wiederholt der Prinzipal. »Ich mach das. Aber vielleicht ist es besser, wir sagen nicht bloß ›L‹. Sonst denken manche noch, dass du auch Laskarow heißt, Puppchen.« (Sie zuckt zusammen, aber er merkt es nicht.) »Nehmen wir die hebräische Bezeichnung für den Buchstaben, Lamed. Und machen daraus Leonie Lamedé. (Leonie wird nicht gefragt, ob ihr das gefällt, und es ist ihrauch egal jetzt.) Hört sich gut an. Schöner Künstlername. Ich muss jetzt langsam Maske machen, wenn alles ist klar. Leonie, Massel und Broche! Hals- und Beinbruch!« Er spuckt ihr feierlich dreimal über die Schulter.
Leonie ist allein mit ihrem Spielpartner. Blickwechsel. Es geht einfach nur um Arbeit. »Kurzes Anspielen«, sagt er sachlich. »Irgendwas aus der ersten Szene, damit wir uns verständigen.« Ist sofort in Position, im Straßenanzug und mit offenem Kragen: »Ha, wos hör ich? A Kol von eim Ruach?«
(Natürlich wählt er eine besonders jiddische Sequenz. Sie weiß inzwischen, dass das bedeutet: Die Stimme von einem Geist.)
Leonie-Sulamith erwidert: »Wer ist dort? Gott soll euch benschen (segnen)! Rettet doch heraus einen Menschen. Habt Rachmones (Erbarmen) und holt mich hervor!«
»Du musst den Tonfall nicht versuchen«, sagt er ruhig. »Die wissen doch, dass du die Vorstellung rettest und darum längst nicht alles kannst.«
Er beugt sich vor und küsst sie fest auf den Mund. »Massel tow, Duschenju! Viel Glück! Und gib mehr Schminke drauf, als du denkst, dass nötig ist. Die da unten brauchen das.«
»Warum hast du gesagt: Leonie kann das? Du weißt es doch gar
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