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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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nicht.«
    »Doch«, erklärt er lächelnd. »Hab dich lange genug gesehen hier im Theater. Wer so wie du in der Seitenbühne steht, der will es. Und was man will, das kann man auch.«
    Also spricht Schlomo Laskarow.
     
    Nun bin ich der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit des Künstler- Theaters, vom Choristen bis zum grünäugigen Fräulein Guttentag, jener Schauspielerin, die Sulamiths Gegenspielerin mimt, vom Bühnenarbeiter bis zum Darsteller des Dieners von Abisalom, der mir mit seiner schwarzen Schminke um ein Haar das Kopftuch fleckig gemacht hätte – denn alle, aber auch alle umarmen und küssen mich, wie ich da in der Gasse stehe. Diesmal nun im Gegensatz zu sonst verkleidet und angemalt. »Massel und Broche!«, höreich viele Male, und viele Male wird mir symbolisch über die linke Schulter gespuckt: »Toi – toi – toi!«
    Es ist, als würde mich die Kraft der Wünsche des ganzen Ensembles irgendwie hochheben und zum Schweben bringen. Vorhin in der Garderobe, da war ich plötzlich schwach und zittrig vor Angst. Nun verwandelt sich dies »Lampenfi eber« in eine angespannte, knisternde Aufregung. Da ist die Bühne, und gleich werde ich darauf stehen. Ich vergesse alles, was in den letzten Tagen passiert ist, vergesse, was am Vormittag war. Ich werde spielen! Mein Herz klopft vor unbändiger Freude.
    Im Zuschauerraum, hinterm geschlossenen Vorhang, wird es ruhig. Langsam verebben der ungezügelte Krawall, das Rufen und Pala vern, das Lachen und Quietschen, das bis hierher heraufgeschwappt war. Der Prinzipal, das Auge bisher am Vorhangsspalt, tritt nun heraus, geht vor an die Rampe und macht seine Ansage.
    Klatschen.
    Dann kommt er zurück auf die Seitenbühne und gibt das Zeichen für den Anfang. Langsam bewegt der »Pilgerchor« sich auf die Bühne.
    Mendel Laskarow, Sulamiths Vater, steht jetzt neben mir, den Pilgerstab in der Hand, wie ich auch.
    »Alles klar, Puppchen?«
    Ich nicke. Dann mischen wir uns unter die letzten Choristen, betreten mit ihnen die Bühne.
    Applaus. Das ist mein Applaus. Das erste Mal in meinem Leben trägt mich dieser Sturm der Zustimmung und Zuneigung vorwärts, befl ügelt meine Füße. Es klingt mir in den Ohren wie Musik.
    Und schließlich, nachdem wir zweimal mit dem Chor die Runde gedreht haben (»Beladen mit allem Gut, mit den Stäben in der Hand gehen wir jetzt alle dahin in unser heilig Land.«) und nun allein auf der Bühne sind, beginnt es.
    Laskarow erhebt die Stimme, laut, getragen, volltönend. Ich nehme Tonlage und Lautstärke auf.
    Ich spiele Theater. Ich bin da.
    Mein erster Monolog, der kleinere, der nicht gestrichen wurde.
    (»Wüste so wild und nirgends ein Weg, ich finde keinen Pfad, keinen Steg. Ich bin so matt, es brennt der Durst ...«) Da unten, aus der dunklen Schlucht, wo sie sitzen, kommt kein Laut. Sie hören mir zu. Sie halten den Atem an. Leonie Lamedé spielt Sulamith. Und als ich mich dann in den Brunnen herunterlasse: wieder Applaus. Zuvor, das war ja nur die Bekundung ihres Wohlwollens, das sie meinem Mut zollten. Jetzt, der Szenenbeifall, den habe ich mir verdient.
    Aber jetzt, als ich nun im »Brunnen« liege, zusammengekrümmt auf einer leicht muffi g riechenden Matratze, überfällt mich plötzlich die Panik. Ich muss irre sein. Was mache ich denn? Auf einmal erinnere ich mich an kein Wort des Textes mehr. Und während von der Bühne, gedämpft durch die Blechwand meiner Tonne und das Pappmaché ihrer Verkleidung, Schlomos sanfte und metallische Stimme zu mir dringt, das Gespräch mit dem Diener, sein Lied, der Beifall, komme ich mir vor wie in gewissen Träumen, in denen man, die Kleider im Arm, halb nackt durch eine Stadt läuft. Wo ist mein Text geblieben?
    »Abisaloms« markant geschminktes Gesicht mit den schwarz ummalten Augen taucht über dem Brunnenrand auf, er »entdeckt« mich, laut rufend, wie das Stück es will – und bemerkt sofort meinen Zustand.
    »Atme!«, flüstert er. »Atme ganz ruhig. Ich bin bei dir.« Dann erst dreht er sich um und deklamiert ins Publikum seinen Text: »Es ist ein Mensch und ein Mädchen dazu. Jung wie der Frühling und wie Sterne am Himmel schejn.«
    Dann »zieht er Sulamith aus dem Brunnen«.
    Ja, es geht weiter. Ja, ich kann es. Und dass ich in dieser Szene zunächst ein bisschen atemlos und zittrig bin, das kommt dem Stück nur zugute. Wir spielen die Liebesszene, und Schlomo stützt und führt mich, wie er mich beim Tanz geführt hat. Zwischendurch bekomme ich gefl üsterte Anweisungen (»Mehr

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