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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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gehen soll? Hauptsache nicht nach Haus.
    Wie soll sie ihrem Vater in die Augen sehen! Harald Lasker, der so voller Hass ist, wie der alte Laskarow sagt, so voller ohnmächtiger Wut, dass er sich hinsetzt und so etwas schreibt! Es macht ihr Angst. Ein solcher Hass – wohin soll das führen? Wie kann man damit leben? Irgendwann wird etwas passieren ... Er tut ihr leid, und gleichzeitig ist sie voller Zorn auf ihn.
    Und wie soll es jemals möglich sein, den Laskarows zu sagen, wer sie wirklich ist, was sie für Pläne hat?
    Den Laskarows. Der eine Laskarow, der Bescheid wusste – ihr ist, als wenn sie seinen Blick immer noch auf sich brennen fühlt. Hätte er ihr nicht nachkommen können, hinter der Tür eine kurze stumme Umarmung, ein Trost in ihrer Not ... Aber er saß nur auf seinem Stuhl und gaffte sie an: Siehst du, es geht nicht mit uns!
    Vielleicht diente sie ihm sogar als Anschauungsunterricht: Wie verhält sich ein Mensch, der etwas zu verbergen hat und sich in Grund und Boden schämt? Wie spielt man so etwas am besten?
    Irgendwann fi ndet sie sich auf einer Bank am Spreeufer. Es ist einer der letzten warmen Tage. Ein Ausfl ugsdampfer fährt vorüber. Die Möwen umkreisen sie zuerst mit schrillen Rufen, in der Hoffnung, dass ein paar Brotkrumen abfallen, aber als nichts kommt, ziehen sie weiter.
    Weiter, denkt sie. Ich muss auch weiterziehen. Ich kann in dieser Familie nicht bleiben. Ich kann nicht Abend für Abend in diesem Theater sein und ihn sehen – der mir einen Blick zugeworfen hat, unter dem ich mich beinah gekrümmt habe ... Meine Mission ist ge scheitert. Arme Isabelle.
    Die alte Frau auf Hermeneau hat sich geirrt. Ich bin nicht die Richtige. Allein kann ich es nicht schaffen, und die Tür, die sich gerade zu öffnen schien, ist wieder zugeschlagen.
    Und wohin jetzt? Nach Haus am liebsten nie mehr. Aber das ist natürlich Unsinn. Sie muss ja wohnen und leben.
    Irgendwie muss es gehen. Noch ein, zwei Wochen, dann fängt die Saison der großen Theater wieder an. Dann wird sie da irgend wo etwas fi nden. Sie kennt sich ja schon ein bisschen aus im Metier, dank der Zeit an der »Jüdischen Schmiere«.
    Heute Abend muss sie noch mal durch. Ein letzter Blick auf die Künste des Heldendarstellers. Dann kündigt sie.
    Aber es kommt alles anders.

20
    Als sie zwischen fünf und sechs in der Sophienstraße ankommt, gleicht das Theater einem aufgescheuchten Bienenstock.
    Was ist geschehen? Fräulein Minas, die Darstellerin der Sulamith, die zerbrechliche junge Dame mit dem langen Haar, ist erkrankt und kann nicht auftreten. (Welch jähe Krankheit sie befallen hat, ist in dem Tohuwabohu nicht auszumachen. Offenbar weiß es auch niemand.)
    Auf der Bühne, hinterm geschlossenen Vorhang, steht alles, was Rang und Namen hat in Laskarows Künstler-Theater und redet aufgeregt durcheinander, was nun werden soll an diesem Abend. Das Haus wird gerade heute wieder einmal voll sein! Absagen? Mendel Laskarow ringt die Hände und verbraucht sein ganzes Repertoire an Verzweifl ungsgesten.
    »Seit ich dies Ensemble leite, ist noch nie eine Vorstellung ausgefallen!«, verkündet er mit Beben in der Stimme. »Also, schlimmstenfalls machen wir ein buntes Programm mit Liedern!«
    »Die Leute, die gekommen sind, wollen aber ›Sulamith‹ sehen, Tate! Bei einem bunten Programm schmeißen sie uns ihr Butterbrotpapier auf die Bühne!«
    »Doch nicht auf dich!«
    »Auf mich nicht, aber auf die anderen!«
    Der Heldendarsteller und sein Vater ziehen Kreise auf der Bühne. Und werfen sich Vorschläge zu. Die anderen lauschen.
    »Deine Mutter hat die Sulamith gespielt!«
    »Ja, bevor ich geboren wurde! Mach dich nicht lächerlich, Vater. Mal von allem anderen abgesehen: Meinst du, sie passt in das Kostüm?«
    »Wir nehmen einfach was anderes für sie!«
    »Ich spiele aber nicht mit meiner Mutter ein Liebespaar!« »Schlomo, um Himmels willen ...«
    Leonie steht daneben und hört zu. Sie kann nicht nur die Partie auswendig, sie kann das ganze Stück. Ja, das ist sie, die berühmte Situation, die angeblich immer einmal wieder eintritt, die große Chance für eine Anfängerin. Da fällt die Hauptdarstellerin aus, und die kleine Statistin hebt den Finger und sagt: Ich kann die Rolle! Und dann ist das der Beginn einer großen Karriere.
    Jetzt müsste sie genau das machen. Den Finger heben und sagen: Hier bin ich, ich kann es. Ihr Traum, auf einer Bühne zu stehen – er ist mit Händen zu greifen!
    Wenn nur dieser schreckliche Tag heute

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