Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
nach links! – Folg mir nach, jetzt! – Mehr Stimme!«) oder gehauchtes Lob (»Sehr gut! Ja, weiter so!«).
Und dann ist der Akt zu Ende, und als der Vorhang gefallen ist,fasst Schlomo mich an den Ellenbogen, stemmt mich in die Höhe und dreht sich dreimal mit mir um die eigene Achse.
In den Beifall, in meinen Beifall!, steige ich ein wie in ein warmes Bad.
Der Prinzipal küsst mich väterlich auf die Wangen. Und der Heldendarsteller bemerkt lässig: »Hab ich’s nicht gesagt?«, bevor er in die Garderobe verschwindet.
Aus ihrer Versenkung kommt Rosa daher, die alte Souffl euse auf ihren krummen Beinen.
»Ich geb alles vor, deinen ganzen Text!«, versichert sie. »Wenn dir der Faden reißt, schau nur zu mir!« Auch von ihr werde ich umarmt und geküsst, dann nimmt sie mich mit in die Requisite und zwingt mich, eine rohes Eigelb mit Olivenöl und Zitrone löffelweise zu mir zu nehmen, wegen der Stimme. (»Du hast ja noch keine Technik, Schätzchen!«) Noch nie habe ich etwas so Abscheuliches mit so fröhlicher Geduld ausgelöffelt.
Dann gibt sie mir einen guten Rat. »In der nächsten Szene, wenn du nicht dran bist, Schätzchen, da geh besser nicht in deine Garderobe. Du bist ja kein Profi noch nicht. Du musst obenauf bleiben, darfst dich nicht entspannen, dich nicht ausruhen. Sonst ›fällst du runter‹. Wirst schlapp, fi ndest nicht wieder rein. Glaub mir, ich hab das alles durchgemacht. War auch irgendwann blutjung und hab mal angefangen mit der Schauspielerei. Bleib in der Gasse stehen, wie du sonst auch immer machst, guck zu, mach mit im Kopf, hör auf die Leut im Saal.«
Der Prinzipal eilt an mir vorüber. »Gehst du nicht in die Garderobe, Puppchen?«
»Nein, ich gucke zu.«
Er reißt die Augen auf. »Gut so.« –
Noch einmal gerate ich ins »Schwimmen«; ausgerechnet in der vorletzten Szene mit Schlomo, dem großen Wiedersehen nach der langen Trennung des Liebespaars, ist mein Kopf auf einmal leer. »Hilf mir«, flüstere ich. »Es ist aus.«
Er packt mich am Arm, und während er einfach meinen Text übernimmt und auf sich umwandelt (wie macht er das bloß soschnell?), zerrt er mich nach vorn. »Guck auf Rosa!«, zischt er mir ins Ohr, fast ohne die Lippen zu bewegen, und improvisiert eine Umarmung.
Rosa kommt fast aus ihrem Kasten herausgekrochen und artikuliert mit übertriebenen Mundbewegungen: »Der Widerhall, mein guter Freund ...« Dann bin ich wieder drin, und Schlomo, ganz Herr der Szene, bringt es noch fertig, der alten Souffl euse eine Kusshand zuzuwerfen, die das Publikum auf sich bezieht.
Ja, und dann singen wir zusammen das Schlussduett.
21
Noch nie war sie so wach und so müde zugleich wie nach dieser Vorstellung, wo sich die Mitglieder von Laskarows Künstler-Theater einfach auf der Bühne niedergelassen haben, auf allen möglichen improvisierten Sitzgelegenheiten, und Sekt trinken mit ihr. In einer Art dumpfer Zufriedenheit lässt sie es geschehen, dass man sie lobt und ihr dankt, und als der Prinzipal sein Glas hebt und verkündet, Leonie »Lamedé« würde nun quasi zur Familie gehören, muss sie gegen einen albernen Lachkrampf ankämpfen. (Schließlich gehört sie seit ihrer Geburt zur Familie Lasker-Laskarow.)
Familie. Lasker. Harald Lasker. Auf einmal zittert ihr das Glas in der Hand. Dieser wunderbare Abend, mit Schlomo zusammen Theater zu spielen und auch noch Erfolg zu haben, der hatte vorübergehend alles ausgelöscht, was am Tag Schreckliches geschehen war. Der Brief.
Nein, essen mag sie nichts von den Dingen, die man da hat kommen lassen. Hunger hat sie nicht. Und irgendwann muss sie nach Neukölln. In diese Wohnung.
Als hätte der Prinzipal Gedanken lesen können, verkündet er: »Wir können das Puppchen doch nicht bei nachtschlafender Zeit allein nach Hause schicken!«
Am liebsten würde sie hierbleiben. Auf der Bühne. Oder sich in einem Sessel in der Garderobe zusammenrollen. Sie zuckt die Achseln. »Solange die U-Bahn fährt ... «, murmelt sie.
Schlomo mischt sich ein. Er sitzt auf dem Rand der Tonne und hält sein Sektglas elegant mit zwei Fingern.
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagt er. Und es klingt beiläufi g. »Entweder wir quartieren Leonie in einem Hotel ein. Oder ... « »Nein, nein!«, protestiert sie. »Ich ... ich will nach Haus!« (Siemalt sich aus, was ihr Vater anstellen würde, wenn sie morgens nicht da ist. Er würde völlig ausrasten.)
»Oder«, fährt er fort, »ich bringe sie. Mit einem Taxi.«
»Na, das ist doch eine gute
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