Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
habe, ging es nur um die Familie. Jetzt geht’s auch um uns. Stell dir vor, wir sind richtig zusammen, und mein Vater verlangt, dass wir uns wieder trennen. Wir sind dann beide todunglücklich.«
»Da hast du dir ja was Schönes ausgedacht!«, erwidere ich und schnaube durch die Nase. »Unsere Eltern! Unsere Familien! Eine bessere Ausrede fällt dir wohl nicht ein, wie? Hättest du mich nicht vielleicht ein bisschen einbeziehen sollen, als du nachgedacht hast? Oder mich zumindest informieren? Du lässt mich einfach so im Regen stehen ...«
»Ja«, sagt er mit einem Seufzer und senkt demütig die Lider. »Entschuldige bitte.«
Am liebsten würde ich ... ich weiß nicht was. »Also, war’s das? Ist es das gewesen?«
»Gewesen?« Er reißt erschrocken die Augen auf. »Ich weiß nicht«, erwidert er. Es klingt kläglich. Er zögert, holt Luft. Ich warte auf die entscheidende Erklärung. Stattdessen sagt er: »Nicht jetzt. Geh jetzt bitte. Ich muss noch die Lippen machen. Da kann ich nicht mit dir reden.« –
Keine fünfzehn oder zwanzig Minuten später steht er draußen und ist so gut wie immer und ich ziehe mich in die Requisite zurück und heule Rotzblasen und Dreierschnecken.
Romeo und Julia! Das war vor fünfhundert Jahren. Und wir beide, heute, wir sollen wegen so einer alten Familienfehde nicht zusammenkommen? Das ist doch absurd. Weil sich irgendwelche Großväter nicht darüber einig sind, zu welchem Gott sie beten wollen, müssen wir jetzt leiden?
Wenn er meint, dass so etwas richtig ist – ich fi nde das nicht. Aber das bringt mich auch nicht weiter. Ich muss das erst mal
akzeptieren. Mag nicht daran denken, wie es weitergeht. Ich fühle mich so elend wie noch nie.
Meine Taktik, um das zu überstehen: Ich gehe ihm aus dem Weg.
Suche mir jetzt häufi g vormittags, nachdem ich meine Arbeit am Spittelmarkt erledigt habe, eine Tätigkeit in der Requisite oder dem Fundus der Sophien-Säle, um Schlomo nicht über den Weg zu laufen, wenn er im lässigen Morgenlook die Küche unsicher macht. ...Was mich jedoch nicht daran hindert, wann immer ich hinter der Bühne abkömmlich bin, bei seinen Auftritten in der Gasse zu stehen und seine Verwandlung von einem etwas klein geratenen jungen Mann mit hübschen Locken zu »Abisalom, junger Held« in mich einzusaugen wie eine Süchtige, die ihre Droge einnimmt.
(Aber sein Glas Wasser, das kann ihm sonstwer geben jetzt.)
Der Prinzipal spricht davon, die Sophien-Säle aufzugeben und ein kleineres Haus anzumieten. Die Miete ist immer schwerer zu erbringen, meint er, und »Sulamith« zieht nicht mehr so wie vorher. Wütender Protest des Heldendarstellers. Ein kleineres Haus! Und dann? Wann kommt er dann dazu, den Bar Kochba zu geben? Dies Stück mit den vielen Statisten und der großen Ausstattung, das braucht doch eine große Bühne!
»Warum sollen wir auch diesen alten Historienschinken bringen, wo sich Juden und Römer die Nasen blutig schlagen?«
Vater und Sohn streiten sich weiter. Ich höre kaum noch zu.
Bei der Gelegenheit erfahre ich nebenher, dass der Fundus in den Sophien-Sälen bei Weitem nicht die gesamte Habe von »Laskarows Künstler-Theater« ausmacht. Die komplette Ausstattung von einigen anderen Stücken ist noch woanders gelagert – in einem angemieteten Haus im Scheunenviertel.
Doch das erinnert mich wieder an das, weswegen ich hier bei dieser Familie und an diesem Theater gelandet bin. So viel ist geschehen in der letzten Zeit, dass ich die Suche nach dem Buchstaben völlig aus den Augen verloren habe. Ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Meine Mission wird für mich jetzt auf einmal in dieser Situation so etwas wie ein Rettungsanker. Ich kann mich in diese Aufgabe stürzen. Ein ganzes Magazin zu durchsuchen ...
Doch dann geschieht etwas, was mir vollends den Boden unter den Füßen wegzieht. Eines Morgens bittet mich der Prinzipal am obligatorischen Frühstückstisch in der Küche, ihm ein Omelett zu machen. (Es müssen ja nicht immer rohe Eier sein.) Seitdem er weiß, dass ich kochen kann, bin ich auch in dieser Hinsicht gefragt.
Es ist die übliche Szenerie: Madame löst Kreuzworträtsel und wundert sich, wenn ihr der Honig vom Brötchen auf das Rätsel tropft, weil sie nicht hinguckt, der Chef ist hinter seiner Zeitung verschwunden, und der Heldendarsteller sitzt, die Kaffeetasse in der Hand, auf seinem Stuhl und baut lustlos aus der Post seiner Verehrerinnen so etwas wie ein Kartenhaus.
Ich ziehe gerade den geschlagenen
Weitere Kostenlose Bücher