Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
erfahren.«
Vorhin haben die beiden Gestalten da sich im Tanz gedreht wiedie Figuren auf einer eleganten alten Spieluhr. Nun dreht sich alles in meinem Kopf.
Jüdische Mystik! Mir fallen zu dem Thema nur irgendwelche dunklen Geschichten ein, da habe ich doch mal was gelesen, Opferung von Christenkindern und Hexerei mit ihrem Blut ... nein, das ist doch alles nur Unfug ... und Hexerei – Hexerei doch auch, so was gibt’s nur auf den Jahrmärkten, Wahrsagen aus der Glaskugel...
»Ich verstehe gar nichts«, sage ich fast zornig. »Was soll das sein? Mystik. Meint ihr ... « Ich suche nach einem Wort, das nicht abwertend klingt, »... meint ihr Zauberei?«
Gaston lacht leise. »Wenn schon, dann eher Magie. Aber das ist nicht das Entscheidende. Es geht um geheimes Wissen. Wissen, das in Buchstaben und Zahlen verankert ist. Isabelle hat dies Wissen, das aus alten Zeiten stammt.«
Ich hole tief Luft. Ich bin bei zwei Verrückten gelandet. Jüdische Mystik? Ist Isabelle etwa ...
Ich fühle Gastons Hand auf meiner Schulter. Er errät wohl meine Gedanken und Gefühle. »Das ist jetzt alles ein bisschen viel auf einmal, nicht wahr?«, sagt er sanft. »Bitte, gib uns die Gelegenheit, dir zu offenbaren, was Isabelle am Herzen liegt und was sie meint. Morgen bei Tageslicht und ohne die Betörung dieses Abends. Bitte.«
»Ja. Gut«, erwidere ich matt. Auf einmal bin ich sehr müde und das Drehen in meinem Kopf hat zugenommen. Vielleicht rührt es ja nicht nur von dem her, was ich da zu hören gekriegt habe, sondern hat auch mit dem starken, nach Tannen duftenden Wein zu tun. Vielleicht bin ich ja einfach nur ein bisschen beschwipst und verstehe etwas falsch ...
Eine letzte Frage.
Ich drehe den Kopf dahin, wo ich Isabelle bei dem Auto vermute. Sage mit gedämpfter Stimme: »Aber woher – woher hat sie das denn? Dieses Wissen? Und diese – diese mystischen Sachen ... «
»Weil ihr von Adel seid«, sagt er leise, und sein Handrücken streift sacht und liebkosend meine Wange.
Nun muss ich lachen. »Von Adel? Wir doch nicht! Du schon, du bist so etwas wie ein Graf, aber zu den Laskers gehörst du ja eigentlich nicht!«
»Nein, nein. Die Laskers sind alter Adel. Jüdischer Adel.«
Das Schwanken und Drehen in meinem Kopf und außerhalb meines Kopfes nehmen zu. Der Wein! Was für ein Durcheinander!
»Also erstens«, sage ich mit schwerer Zunge und versuche, etwas zu sortieren, »können Juden gar nicht adlig sein, von Haus aus, meine ich. Und zweitens sind wir keine Juden.«
Plötzlich steht Isabelle neben mir, als habe sie sich aus der Dunkelheit heraus materialisiert; ich habe sie nicht kommen hören. Wirk lich, sie ist ja so etwas wie eine Hexe...
»Du weißt, wie gesungen und gespeist wird, aber sonst weißt du nichts, chérie«, sagt sie, und es klingt mitleidig. Und dann zu Gaston: »Aber sie kann alles lernen.«
Dann ist mir nur noch furchtbar schwindlig, und wenn die beiden mich nicht gestützt hätten, wäre ich wahrscheinlich gar nicht bis zum Wagen gelangt.
In einer Art Dämmerzustand sitze ich im Fond der Limousine; vielleicht hat man mich ja verwunschen mit dieser – wie hieß es gleich noch? – Kabbala? Gaston fährt sehr schnell, die Kurven verursachen mir Übelkeit, alles schwankt und dreht sich, und es kommt mir so vor, als würde Isabelle weinen. Als ich in meinem Zimmer angekommen bin, habe ich nur noch einen Gedanken: Eigentlich müsste ich fort von hier. Zurück nach Hause.
2
Die Sonne hat einen Spalt im Vorhang gefunden, scheint ihr ins Gesicht, kitzelt sie in der Nase. Sie niest, öffnet die Augen, setzt sich auf.
Ja, hier ist sie. Das ist Schloss Hermeneau in den Pyrenäen. Das ist ihr Zimmer. Fenster, die bis zum Erdboden reichen, helle Musselinvorhänge. Ein breites Bett inmitten eines Raums, der so groß ist wie ihre halbe Wohnung in Berlin. Teppiche. Hohe Doppeltüren aus hellem Holz. Ein eigenes Bad hinter der angelehnten kleineren Tür mit weißem Schleifl ack.
Das alles ist schon wundersam genug. Aber nun ist noch etwas dazugekommen.
Was war das in dieser Nacht?
Kabbala – Mystik – ein Tanz – ein Lied – ein Geschmack und Ge ruch. Dieser Wein ...
Müsste man nach so einer Nacht nicht Kopfschmerzen haben und kaum aus den Augen gucken können? Aber sie fühlt sich frisch und klar. War da nicht eine große Verwunderung in der Nacht?
Leonie wirft die Seidendecke zurück (noch nie hat sie in solcher Bettwäsche geschlafen) und tappt auf bloßen Füßen zum Fenster, lüftet den
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