Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
einer zur anderen, dann schüttelt er den Kopf. »Die wollen ihren Rabatz machen, so oder so. Da nützt es nichts, wenn wir einen Fuß zurückziehen. Die rücken nach. Wir spielen, wie wir’s immer machen. So weit wir kommen.«
Die alte Rosa, ihr zerfl eddertes Textbuch in der Hand, kommt angewatschelt. »Soll ich nach der Polizei rufen, Herr Laskarow? Das sind doch Randalierer! Die gehören festgenommen!«
Der Prinzipal sieht sie von unten her an. »Wo lebst du, Rosele? Die Polizei, wenn die kommt, die tippt an den Mützenrand und grüßt die Herren Kollegen. Und sagt höchstens, das ist die Volkswut, die sich entlädt. Und es ist ja bloß Theater. Ist einer zu Schaden gekommen, oder? Keiner ist zu Schaden gekommen.« Er erhebt sich ächzend. »Fertig auf der Bühne? Dann los! Con el pie derecho y al nombre del Dio.« Mit dem rechten Fuß zuerst und im Namen Gottes.
Das Familienmotto.
Ich stehe neben Mendel in der Gasse, als der Vorhang hochgeht. Zunächst einmal sind die da unten wohl zu verblüfft, um zu reagieren, denn die kleine Guttentag als Serafi na, die im Abendkleid die Römerin mimt, und der beleibte Heinrich Bloch, der den Statthalter spielt, sagen da einen Text her von der hakenkreuzverzierten Tribüne aus, der ja durchaus in ihrem Sinn sein muss: dass man die Juden unter den Fuß treten soll, dass man die freche Brut demütigen soll, dass man die Braut des Kochba, einmal in Gefangenschaft, weiter als Geisel halten muss, dass man auf diese Weise den Aufstand niederringt ... Irgendwie sind die Männer verwirrt. Das hört sich doch alles ganz richtig an!
Aber dann! Dann wachen sie auf, als ein römischer Soldat dem Statthalter Meldung macht: »Der jüdische Held Bar Kochba kommt daher! Mit Euch zu sprechen ist sein Begehr.«
Im Saal rappelt man sich auf, murmelt, macht sich bereit.
Und jetzt kommt er, der Sternensohn, umgeben von seinen Kriegern, im purpurnen Feldherrnmantel, neben ihm seine Standartenträger mit dem Davidstern als Banner.
Zuerst ist es still. Nicht einmal diese Kerls da unten können sich völlig der Faszination entziehen, der wilden Kraft, die Schlomo Laskarow auf der Bühne versendet. (Die ersten Wechselreden mit dem Statthalter Rufus: »Was du willst, will ich wissen!« Und die Antwort Bar Kochbas: »Fallen wirst du von unserem Schwert, falls unsere Forderung nicht wird erhört!«)
Und dann geht er auf die Rampe zu, vielleicht noch ein Stück herrischer und selbstsicherer als sonst, eine Hand in die Hüfte gestützt, verharrt, Standbein, Spielbein. Schweigt. Lässt den Blick schweifen. »Strenges Gericht verlang ich gegen euch Räuber und Mörder! Ihr habt uns gejagt, unsre Hütten verwüstet. Alles hasst ihr, was kommt von Zion, wollt uns vernichten! Lasst die Trompeten blasen, Juden! Mit uns geht der Messias allein!«
Er steht da vorn, gespannt wie eine Bogensehne, den Kopf vorgereckt, die andere Hand anklagend erhoben – nicht etwa gegen die Römer in seinem Rücken, sondern gegen die ersten Reihen da unten.
Wir in der Gasse halten den Atem an. Und die da offenbar auch. Für einen Moment.
Dann bricht ein Höllentanz los.
Unter Brüllen, Grölen, Pfi ffen und Buhrufen fliegt auf die Bühne, was man alles Schönes mitgebracht hat: Eier, faule Äpfel und Birnen, zermanschte Kartoffeln und Tüten aus durchweichtem Papier, die mit widerlichem Geräusch auf dem Bühnenboden platzen und irgendeinen stinkenden Inhalt freigeben.
»Serafi na«, die Guttentag, kreischt schrill, wahrscheinlich hat sie etwas abbekommen, und alle »Römer« ducken sich hinter ihrer Balustrade. Die »jüdischen Krieger« versuchen, sich mit ihren armseligen Pappschilden zu schützen; jetzt werden auch schon Flaschen geworfen. Steine folgen.
Schlomos Feldherrnmantel ist besudelt von matschigem Obst und zerlaufendem Eigelb. Ein Stein streift seine Schulter, ein anderertrifft ihn am Kopf. Selde neben mir schreit gellend auf und klammert sich an mir fest.
»Vorhang!«, brüllt der Prinzipal. »Aus, Schluss, Vorhang!«
Schlomo kommt in die Gasse geschossen, er stillt das Blut aus einer Verletzung an der Schläfe mit seinem Stirnband, das er sich abgerissen hat.
Er ist außer sich vor Wut. »Vorhang auf!«, schreit er. »Verdammt noch mal! Wir spielen!«
»Bist du jetzt hier der Chef, Söhnchen?«, donnert sein Vater. »Bis jetzt bestimme immer noch ich, wann gespielt wird und wann nicht! Der Vorhang bleibt unten!«
Und unterdessen jammert Selde: »Schloimele, du blutest!«
»Ach lass mich,
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