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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Laskarows Künstler-Theater erstmal nicht weiter spielen kann, dann könntest du mich doch einfach unter den Arm nehmen oder in den Koffer packen zu dem Buchstaben ›Taw‹ und mit nach Frankreich verfrachten. Mal was anderes, Leben unter den Gipfeln der Pyrenäen!«
    Und er löffelt seine Hühnersuppe.
    Aber ganz so unrecht hat er ja nicht. Ja, jetzt wäre der geeignete Zeitpunkt, mit Mendel Laskarow zu sprechen, ihm zu zeigen, dass es zumindest für seinen Sohn noch eine andere Perspektive gibt, als sich Löcher in den Kopf machen zu lassen. Man könnte das Künstler-Theater wirklich für eine Weile geschlossen halten, bis dieser Spuk hier in Berlin vorbei ist und bessere Zeiten kommen. Ewig kann das doch nicht gehen!
    Selde Laskarow hat keine Zeit für ihre geliebten Kreuzworträtsel. Auf dem Küchentisch ausgebreitet sind Rechnungsbücher und daneben ihr Abakus, dessen klappernde Kugeln sie mit geübten Fingern hin und her schiebt. Wie ich sie so seufzen höre und sehe, dass ihre Augenschminke einen schwarzen Streifen auf der Wange hinterlassen hat, als ihr irgendwann eine Träne heruntergekullert ist, dann stelle ich auch ihr einen tiefen Teller meines Schmerzvertreibers neben ihre Buchführung und lege Löffel und gestärkte Serviette dazu.
    Sie lächelt mich dankbar an. »Du bist e Fraid, Puppchen!«, sagt sie, probiert mit gespitzten Lippen mein »Allheilmittel« und wiederholt auf Hochdeutsch: »Eine Freude. Kannst du eigentlich gut chejbe nen, ich mein, rechnen?«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Du ahnst nicht, wie schnell wir können gehen kappores!«, sagt sie, und wieder hebt ein schwerer Seufzer ihren Busen. »Wenn das Theater nicht spielt, sind wir bald pleite. Meine Männer verstehen nichts vom Geschäft. Sollen sie auch nicht. Ich mach das schon. Sie brauchen, dass sie es gut haben, sie sind die Kinstler. Aber ich kann nicht zaubern. Wie soll ich nächste Woch zahlen die Waschfrau und den Schammes, Grünstein, ich mein, den Diener?«
    Sie schiebt den Suppenteller beiseite (bei solchen Problemen hilft denn wohl doch kein Schmerzvertreiber), legt ihre Hand auf meine. »Kimmer du dich um Schloimele, dass er nicht ist gar so trojrig.«
    Aber Schlomo ist nicht traurig. Er ist wütend. Und wenn ich nachts zu ihm gehe, liebt er mich bis zur Erschöpfung, stumm, mit der wilden Energie, die er sonst im Feuerwerk seiner Arbeit auf der Bühne wegbrennt.
    Wir reden kaum.
    Manchmal frage ich mich voller Bangigkeit: Bin ich es nicht eigentlich, die das Künstler-Theater Laskarow in diese Krise gestürzt hat, mit meiner fixen Idee von Modernisierung und Aktualisierung des alten Historienstücks? Aber dann fällt mir das Pogrom davor ein. Dieser Krawall wäre wohl so oder so gekommen.
    Auch bei den anderen jiddischen Bühnen im Scheunenviertel, so hören wir, hat es inzwischen ähnliche Übergriffe gegeben. Mag sein, dass wir den Anfang gemacht haben, aber es lag wohl ohnehin in der Luft. Man lebt in Angst und Schrecken, und die Säle bleiben leer.
    Doch auch wenn ich in diesen Tagen ziemlich deprimiert bin – ich ringe mich dazu durch: Es hat keinen Sinn, den Kopf hängen zu lassen. Wir werden bestimmt bald wieder spielen.
    Und dann tut sich endlich etwas auf! Das Theater Concordia in der Neuen Jacobstraße! Der Prinzipal kann eine neue Spielstätte anmieten, wenn auch zunächst nur für einen Monat, den nächsten. Da das aber der Dezember ist, verspricht Laskarow senior sich gute Einnahmen.Im Winter gehen die Leute gern ins Theater. Der weitere Vorteil: Die Lokalität liegt nicht im Scheunenviertel. Vielleicht ist es in einer »normalen« Gegend und unter »deutschen« Anwohnern nicht so einfach, eine Bühne zu stürmen, wie in der »fi nsteren Medine«.
    Der Nachteil: Obwohl die Bühne auf keinen Fall größer ist als die im Hotel Oberländer, verlangt man hier fast das Doppelte an Mietzins. (»Sie müssen verstehen, Herr Laskarow, es ist ein gewisses Risiko, heutzutage an jüdische Mitbürger zu vermieten!«) Allerdings lässt sich der Besitzer des Concordia schließlich auf die Laskarow’sche Naturalwirtschaft ein. Das scheint ihm sehr lukrativ.
    »Demnächst werden sie uns wohl auch noch hier am Spittelmarkt mehr abknöpfen, nur weil wir nicht Müller oder Lehmann heißen!«, sagt der Hausherr erregt, als er von einem Gespräch mit dem Vermieter zurückkommt. (Offenbar ist ihm nicht gelungen, was er noch einmal versuchen wollte: den Preis zu drücken.) Er wirft Handschuh und Gehstock mit gezieltem Schwung auf

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