Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Selde gesprochen ...)
Schlomo hat die Lampen mit roten Tüchern verhängt, und in diesem sanften Licht beginnen die Stunden der Entdeckungen. Sie lieben sich anders jetzt, sanfter, geruhsamer.
Leonie liegt bäuchlings auf den Laken, zwischen Schlaf und Wachen, und lässt sich wohlig streicheln wie eine Katze; immer wieder fahren Schlomos Finger ihre Wirbelsäule entlang, verharren (»Du hast da zwei Grübchen!« Keine Antwort, nur ein Seufzer), gleiten über die Rundung der Hüften, verlieren sich.
Stille, warten. Nicht bewegen. Später kommt ein Zeichen. Ein Bein wird angewinkelt. Eine Hand fragt nach. Ein Atem verändert sich. Liebe in Zeitlupe. Verewigen, was nur für den Augenblick gedacht ist.
»Wieso kannst du das?«
»Es ist wie mit dem Atem. Haushalten. Den Augenblick abpassen. Ist das gut so?«
»Gut? So muss es im Paradies sein ... «
Ein anderes Spiel heißt: Ich habe dich schlafend gesehen. »Beschreib mich. Ich mache die Augen zu.« Beschreiben heißt gleichzeitig berühren, worüber man spricht.
»Ich habe dich schlafend gesehen. Dein Mund ist offen. Manchmal flattern deine Augenlider. Deine Wangenknochen sind ein bisschenvorwitzig. Du hast ein Muttermal neben der linken Achselhöhle.«
»Das hat Isabelle auf Hermeneau auch.«
»Pscht! Rede nicht dazwischen. Ich beschreibe dich. An den Armen und am Hals ist deine Haut noch braun, obwohl der Sommer schon längst vergangen ist. Du liegst auf der Seite. Ein Bein hast du angezogen. Der Schwung von der Taille herunter zum Knie geht so ...« Die Beschreibung bricht ab.
Und umgekehrt. »Ich habe dich schlafend gesehen. Deine Brauen sind viel zu dicht, wenn man die Augen nicht zum Vergleich hat. Du solltest mit offenen Augen schlafen wie ein Hase, dann wärst du schöner. Mit dieser Nase kann man wirklich nicht viel Staat machen, also ehrlich. Deine Lippen sind geschlossen, wenn du schläfst. Gegen die kann man nichts sagen. Dein Hals ... deine Brust ... diese kleine Locke da. Du schläfst auf dem Rücken. Du ...«
»Weiter.«
»Nein.« Die Beschreibung bricht ab.
Einmal (es geht schon gegen Morgen zu, Leonie ist aufgestanden, um Wasser für sie beide zu holen, und Schlomo sieht ihr nach, ihre weißbraune Nacktheit, ihr leichter Gang) – einmal sagt er: »Ich will, dass es für immer ist.«
Sie antwortet nicht, setzt sich auf die Bettkante, legt ihren Kopf auf seine Brust. Sein Herz schlägt ruhig und gleichmäßig.
»Ich wünsche mir auch etwas von dir«, sagt sie und da er nicht fragt: »Du wirst mitkommen zu Isabelle. Ich freue mich darauf.« (Sie flüstert es.)
Schlomo schweigt dazu. Ob es das Schweigen des Einverständnisses oder der Skepsis ist, weiß Leonie nicht. Aber sie hat keine Lust, diese Stunden des Beisammenseins durch Fragen zu trüben, und so nimmt sie das, was sie wünscht, für das Wahre.
Es ist die Zeit der Ruhe, des Gleichklangs. Die Zeit des Glücks. Wenn man es doch festhalten könnte ...
Seitdem sie »Presse« hatten, ist Laskarows Künstler-Theater offenbar so etwas wie ein Geheimtipp für Berliner Kunstfreunde geworden.Sie kommen der Neugier halber und um sich über die leidenschaftlichen Reaktionen des »Stammpublikums« zu amüsieren, und sie sehen mit verwundertem Staunen dieses wilde Historienstück mit den mutigen Bezügen zum Heute und die zum Teil hervorragenden Schauspieler. Es gibt immer viel Beifall, manchmal an völlig unerwarteten Stellen, wo die Leute aus dem Scheunenviertel nie und nimmer applaudieren würden. Nach Dinas Abschied von Bar Kochba zum Beispiel, eine Stelle, die sonst nur mit Seufzern und gezückten Taschentüchern quittiert wird, honoriert das »andere Publikum« die künstlerische Leistung.
Alles läuft gut bis zu einem bestimmten Abend.
Es beginnt damit, dass vor der Aufführung Rosa, die alte Souffleuse, aufgeregt zum Chef der Truppe kommt. (Da die kleine Bühne im Hotel Oberländer keinen »Kasten« hat, muss sie von der Seitenbühne aus flüstern und hat deshalb Gelegenheit, vor der Vorstellung durch das Loch im Vorhang den Zuschauerraum zu beobachten. So auch heute. »Herr Laskarow, Madame schickt mich. Heute gibt es Ärger!«
Der Prinzipal, bereits im Kostüm, mit wallendem Bart und Haar, inspiziert gerade die Bühne.
»Was denn?«, fragt er und runzelt die angeklebten Brauen.
»Da kommen Leute ins Haus – also, die gehen eigentlich nicht ins Theater.« Die alte Frau dreht ängstlich den Kopf. »Solche in braunen Uniformen. Und rote Armbinden haben die. Und auf den
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