Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Laskarow?«
Er sieht sie an, fragend und freundlich zugleich und irgendwie wissend. Dann winkt er sie mit erhobenem Zeigefi nger (eine Regisseursgeste, der man einfach folgt, wenn man an Laskarows Künstler-Theater arbeitet) in den selten benutzten Salon, zu den schweren Eichenmöbel und den Teppichen, hin zu den ledernen Sesseln am Tisch. Die Uhr holt aus und schlägt die volle Stunde; Leonie zählt nicht mit.
Mendel Laskarow holt aus dem Büfett eine Karaffe mit Sherry und zwei Gläser und schenkt ein.
»Meglich, du hast es nötig«, bemerkt er.
»Ich trinke so etwas nicht, Herr Laskarow, schon gar nicht vor der Vorstellung«, sagt sie.
»Die Vorstellung ist erst in ein paar Stunden«, sagt Mendel. »Na gut, trink ich eben für dich mit.« Er nippt an dem ersten, an seinem Sherry. Er beugt sich vor. »Du hast Kummer, nicht wahr?«
Leonie kämpft mit dem Gefühl, dass ihr jemand den Hals zuschnürt. »Ich muss Ihnen etwas sagen!«, fängt sie leise an. Jetzt greift sie doch nach dem Glas und taucht kurz die Lippen ein, behält es in der Hand. Sie merkt, dass ihre Wangen glühen.
Laskarow sieht sie mitfühlend an. »Warst du zu Hause?« »Wie bitte?«
»Ob du zu Hause warst«, wiederholt der Prinzipal ruhig. »Bei deinem Vater. Harald Lasker.«
Sie setzt das Glas so behutsam ab, als wäre es so dünn wie Papier. In ihren Ohren rauscht es.
»Der den Leserbrief an den ›Völkischen Beobachter‹ geschrieben hat. Hast ihm reinen Wein eingeschenkt. Dass du hier bist und was du machst – war’s so?«
»Seit wann wissen Sie ...«, flüstert sie entgeistert.
Er zuckt mit den Achseln. »Du siehst ja nun nicht aus wie eine Goie. Und da hab ich es mir so nach und nach zusammengezimmert. Hab irgendwann etwas mit deiner Handschrift gesehen, einen Zettel für den Einkauf. Da war mal so ein Brief gekommen, der lag noch hier herum. Ein Brief von L. Lasker. L. Lasker wurde zu L. Landau. Mit dem Namen hast du dir nicht viel Mühe gegeben. Na, und dann deine Kocherei ... Aber ich bin selbst ganz gut in der Küche, und wer einmal Anis mit Minze und Koriander kombiniert hat, der vergisst das nicht. Fuego y sapor.«
Er greift nach dem zweiten Glas, das Leonie abgestellt hat, und kippt es auf einen Zug hinunter. »Schlomo weiß es, nicht wahr?«, fragt er.
Leonie nickt. »Seit ich das Sabbatessen hier gekocht habe«, sagt sie mit gesenkten Lidern.
Der Prinzipal schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. »Dieser Himmelhund! Lässt uns die ganze Zeit in dem Glauben, du bist eine Goie! Selde wär das alles sicher nicht so schwer angekommen, wenn sie auch gewusst hätte ... Ach, na ja, sie wird immer eifersüchtig auf ihr Goldsöhnchen sein, selbst wenn die Tochter des Oberrabbiners von Berlin daherkäme ... «
»Ich wollte Ihnen das eben alles erzählen«, sagt Leonie und ringt nach Luft. »Und Sie ... Sie wissen es einfach schon. Und nun?«
Er seufzt. »Ja. Ich hab nachgedacht. Das, was eure Großväter gemacht haben – ich nehme an, Schlomo hat dir erzählt, was damals passiert ist.« Sie nickt. Und er fährt fort: »Das muss sich nicht wiederholenin der übernächsten Generation. Lasker und Laskarow können wieder zusammenkommen jetzt.«
(Sie merkt, dass ihr die Tränen ganz locker sitzen, muss schlucken und schniefen.)
Er langt über den Tisch, tätschelt ihr die Rechte. »Schlimm, wenn man Streit mit dem Tate hat«, sagt er mitfühlend. »Aber sieh mal, Puppchen: Bei uns bist du willkommen. Du bist gut für uns und du bist gut für Schlomo. Und mach dir keine Gedanken, dass ihr sozusagen ohne Trauschein zusammen seid. Ihr habt den Segen. Unseren Segen. Mit meiner Selde red ich selber. Und außerdem ...« Er kneift ein Auge zu, schmunzelt: »Das Theatervolk nimmt manches nicht ganz so genau.«
Leonies Lippen beben. Mendel Laskarow erhebt sich lächelnd.
»Wenn du jetzt noch heulen willst, dann geh in dein Zimmer und tu es bald. Denn verweinte Augen machen sich ganz schlecht auf der Bühne. Da musst du eine Stunde vorher mit Zitronensaft- Kompressen anfangen.«
Wie schnell kann sich Unglück in Glück verwandeln.
34
»Ich muss dich jetzt viel trösten!«, sagt Schlomo ernst, als sie ihm erzählt, was sich in Neukölln abgespielt hat, und streicht ihr einmal wieder das Haar hinters Ohr – diese Geste der Zärtlichkeit, die sie so mag. »Muss dich ganz stark festhalten. Du bist bei mir, Leonie. Du bist bei uns. Gehörst dazu.« –
Sie treffen sich jetzt ganz offen in seinem Zimmer. (Mendel hat mit seiner
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