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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Mame, ein Kratzer!« Er stampft mit dem Fuß auf, seine Augen sprühen vor Zorn. »Warum willst du mich nicht rauslassen, Tate? Ich zeig’s denen!«
    »Junge, die Bühne hier soll kein Circus werden wie bei den alten Römern«, schreit der Chef. »Horch mal, da draußen, das sind die Löwen, die die anderen töten sollen. Willst du, dass sie das Theater stürmen?!«
    Aus dem Zuschauerraum dringt Freudengejohl über den errungenen Sieg zu uns, und dann singen sie: »Licht aus, Messer raus! Haut ihn, dass die Fetzen fliegen!«
    Inzwischen sind die anderen Darsteller in die Gasse gekommen, umringen Chef und Hauptdarsteller. »Herr Laskarow!« Die Guttentag zeigt mit verzweifelter Geste auf ihr von faulem Obst verdorbenes Abendkleid. »Wir müssen doch nicht wieder raus, oder?« Ihre Stimme zittert.
    »Auf keinen Fall!«, sagt Mendel bestimmt, und der Sohn wirft dramatisch die Arme in die Luft, vergisst dabei seinen »Verband«, und aus der Wunde quillt gleich frisches Blut, sodass sich ihm eine rote Schliere über Wange und Schläfe zieht. Selde wimmert. »Ich hol eine Binde!«
    »Unsinn! Warum geben wir auf?«
    Mendel atmet schwer. »Schlomo, du verwechselst was. Du spielst den Helden. Du bist es nicht.«
    Ich lehne an der Wand neben dem Feuerlöscher, Tränen laufen mir übers Gesicht. Jetzt erst sucht sein Blick mich.
    »Leonie, mein Leben! Was sagst du?«
    Ich bewege mich langsam auf ihn zu, mit hängenden Armen. »Sternensohn«, sage ich, »lass es gut sein. Da unten sitzt keine dicke Frau mehr. Sie ist nach Haus gegangen.«
    Ich gehe wie abwesend an ihm vorüber. Höre im Weggehen noch Mendel Laskarows Stimme. »Das Schlimme ist: Sie werden wiederkommen.«
    Ich weiß nicht, warum, aber mich treibt es noch einmal auf die von Unrat übersäte Bühne. Ich drücke das Auge an das Guckloch im Vorhang. Im Zuschauerraum sind die Lichter bereits aus.
    Ganz hinten sitzt noch ein einziger Mann. Er trägt einen dunklen Mantel. Seine Züge scheinen zu verschwimmen, als wenn sie verlaufen würden. Und er hält die Augen geschlossen. Sein Gesicht ist ein weißer Fleck ...
    Ich fühle eine Kälte und bekomme für einen Moment keine Luft. Dann sehe ich noch einmal durch das Loch.
    Der Saal ist leer.

35
    Ganz klar, wir haben wieder Presse! Und noch mehr als bei der Premiere. Eine reichhaltige Skala.
    Die Üblen: »Bravo Volksgenossen! Empörte Zuschauer erzwingen Abbruch derVorstellung von antideutscher Judenposse« – »Krawall im Scheunenviertel! Laskarows >Sternensohn‹ ging es an den Kragen« – »Unverschämter jüdischer Schauspieler provoziert Publikum«. Die Positiven: »Tapferer Darsteller des >Bar Kochba‹ beim Protest gegen Randalierer verletzt« – »Rechtsradikale Gewalt gegen Akteure des jüdischen Volkstheaters«.
    Wir sind in aller Munde, so oder so, doch leider können wir uns das nicht zunutze machen, denn Adi Oberländer, der Hotelchef, hat uns fristlos gekündigt, von einem Tag auf den anderen. Er sagt, das wird ihm zu heiß. Er kann es sich nicht leisten, dass ihm diese Sauhunde das Hotel ins Gerede bringen, die Bude vermasseln und die Kundschaft vergraulen. Er erlässt Laskarows Künstler-Theater dafür die Schulden, die es hat, als er es mit seinen Dollars freikaufte bei dem Pogrom. Wir sitzen auf der Straße.
    Der Wind bläst uns ins Gesicht.
    Der Prinzipal ist hektisch unterwegs auf der Suche nach einer anderen Spielstätte. Schlomo liegt in seinem Zimmer auf dem Bett, brütet fi nster vor sich hin und lässt sich von Mame Kompressen auf die blaue Beule legen, die sich rings um die Wunde an seiner Schläfe gebildet hat. Ich hingegen versorge ihn mit »goldener Suppe«, dieser Lasker’schen Hühnerbouillon, die durch eine geröstete Zwiebel ihre Farbe bekommt und durch Knoblauch und Kreuzkümmel ihr gewisses Etwas, und die ich mit gebratener und gehackter Gefl ügelleber, einer Handvoll getrocknetem Salbei und einem Schuss Sherry aufwerte. Diese Suppe hat mein Vater »Schmerzvertreiber«genannt, er hat sie uns beiden gekocht, wenn wir Kummer hatten oder den Gedanken an die Mutter nicht loswurden ...
    Mein Vater! Wenn ich an ihn denke, brauche ich selbst einen gehörigen Teller Schmerzvertreiber. Noch immer sehe ich ihn in der kalten Wohnung am Küchentisch sitzen, den Kopf in die Hände gestützt...
    »Na«, sagt Schlomo grimmig, als er meine trübe Miene sieht, »eigentlich hast du doch am wenigsten Grund zum Jammern. Diese Meschumeds, diese Verbrecher, arbeiten dir doch geradezu in die Hand. Wenn

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