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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Frau, von deren furchtbaren Schrecken ich eben einen Teil abbekommen habe, wie wenn ein Gefäß überläuft und seinen Inhalt verströmt. Ich nehme sie in die Arme, wie Gaston das auch tut. Wir halten sie beide. Wir halten uns aneinander.
    Langsam lässt es nach, das spüre ich, die Kraft der Bilder verblasst, lässt nichts zurück als eine Leere und einen unerträglichen Schmerz. In ihr und in mir.
    Ich fange mich.
    Isabelles Gesicht ist tränenüberströmt.
    »Wasser!«, sagt Gaston zu mir. Er hält sie fest, ganz fest.
    Wasser ist keines da. Ich nehme eines dieser Sherrygläser, es ist noch halb gefüllt, und halte es ihr an die Lippen. Ihre Zähne klirren am Glasrand.
    Dann sinkt sie zurück, schwer atmend, mit offenem Mund. Gaston wischt ihr liebevoll mit seinem Taschentuch das Gesicht ab. Ich sehe, wie sie zittert. Aber auch ich bebe wie Espenlaub. Ich
    war am Rand dieses Strudels und es hat mich hineingezogen. Es ist alles wahr. Ich war dabei. Es ist die Vorausschau. Zukunft – wenn man sie nicht verhindert.
    Das Zimmer nimmt wieder Gestalt an vor meinen Augen. Eine ganz normale Bibliothek. Darin zwei erschöpfte alte Leute. Und ich. Langsam werde ich wieder ich selbst.
    »Kann sie mich hören?«, flüstere ich Gaston zu.
    »Ich weiß nicht«, gibt er zurück. Sein Gesicht sieht nun wirklich alt aus, uralt und verbraucht vom Mit-Leiden. Isabelle in seinen Armen scheint in eine Art Schlaf versunken, sie atmet tief und ruhig mit geschlossenen Lidern.
    Um mich ist immer noch die Kälte. Und ich habe Angst. Beides macht, dass meine Zähne klappern.
    Dann sieht der alte Mann mich an und in seinen Augen ist das Verstehen.
    »Sie hat dich ... mitgenommen?«, fragt er leise.
    Ich kann darauf nicht antworten.
    »Ich war – ich war irgendwo am Rand«, sage ich dann mühsam. »Das war schlimm genug.«
    Er nickt. »Gott gebe, dass dich die Gabe nicht wirklich ereilt,
    Leonie Lasker«, sagt er, und es klingt traurig und zärtlich. Noch immer stehe ich da mitten im Raum. Leonie Lasker. Alles hat sich verändert.

10
    Als ich wieder in meinem Zimmer bin, noch immer zitternd von dem, was ich erlebt – und erkannt! – habe, ist es mir Gewissheit. Ich werde es tun. Ich werde die Buchstaben für Isabelle finden. Jüdin oder nicht, das ist mir gleich: Sie hat mich mitgenommen auf diese Reise. Zwischen uns gibt es ein Band.
    Einen Moment stehe ich am Fenster, gucke auf das sich verdunkelnde Bergmassiv und versuche, zur Ruhe zu kommen.
    Das Sabbatmahl!
    Nein, sie werden es nicht ausfallen lassen, das weiß ich ganz bestimmt. Ich habe Isabelles Qualen gespürt, aber ich weiß um ihre Kraft, und sie wird sich jetzt nicht irgendwohin verkriechen. Sie wird stark sein wie eh und je.
    Langsam beginne ich, mich umzukleiden. Hole das meergrüne Seidenkleid aus dem Koffer und ziehe es an. Heute hat es seinen großen Auftritt. Ich stelle mich kurz vor den Spiegel. Ich bin schön in diesem Kleid. Was hat Gaston gesagt? Genauso sah Isabelle in ihrer Jugend aus ...
    Ich bin nicht mehr die Gleiche, die hier ankam vor ein paar Tagen. Ich bin ... kein Kind mehr.
    Und dann auf einmal ein Klang, der durchs Haus zieht: ein tiefer, volltönender Gong. So etwas hat es hier bisher nicht gegeben. Man nannte einfach eine Essenszeit, zu der man sich mehr oder weniger pünktlich versammelte. Ich werde zum Sabbatmahl gerufen. Der Gong versetzt mich in eine Art feierlicher Aufregung.
     
    Die letzten Sonnenstrahlen erhellen noch den Raum. Der Tisch ist festlich gedeckt mit weißem, besticktem Leinen, Porzellan und schwerem Silber. Silber das Besteck und das Salzfass, Silber die beidenhohen Leuchter, die aus Isabelles Turmstübchen stammen, und dieser silberne Aufbau in Filigranarbeit, dessen Bestimmung sich Leonie nicht erklären kann. Die Gläser sind aus buntem böhmischen Kristall. Unter einer gestärkten Serviette liegen die beiden Mohnzöpfe, die heute Mittag gebacken wurden. Eine Weinfl asche, bestaubt, bereits entkorkt.
    Bei Leonies Eintritt erheben sich die beiden alten Leute. Sie wirken, als sei nichts geschehen vorhin in dieser Bibliothek. Sie deuten eine kleine Verneigung an, die sie verwirrt erwidert. Niemand fragt sie etwas. Niemand erwartet jetzt etwas von ihr. Es geht nur um die Feier.
    Gaston trägt ein Käppchen auf dem Haar wie gläubige Juden und hat sich eine Krawattennadel mit glänzenden Steinen angesteckt, sie funkeln im letzten Licht des Tages.
    Isabelle trägt eine dreifach geschlungene Perlenkette auf einem fürstlich schlichten

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