Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
starrt ihn an. An so etwas hat sie überhaupt noch nicht gedacht. Vielleicht bedeutet es ja das Ende dieser Misere zu Haus! Wir können wieder leben wie früher, wir ...
Fast hätte sie den Anschluss verpasst, denn nun ist Isabelle wieder an der Reihe. Sie redet mit einer großen Selbstverständlichkeit, als sei alles schon getan.
»Du musst den ersten Buchstaben bis Ende dieses Jahres finden und hierher zu mir bringen. So wollen es die Regeln. Von Hermeneau aus fährst du dann weiter nach Wien.«
»Nach Wien?« Leonie glaubt, ihren Ohren nicht zu trauen. (Richtig, es war ja auch von Österreich die Rede.)
»Natürlich nach Wien«, sagt die »Ahnfrau« ein bisschen ungeduldig. »Gaston hat dir doch von meinen drei Brüdern erzählt, von dem ›türkischen Lasker‹, der dann nach Wien ging. Dessen Enkelin hatten wir ja schon vor 1914 ausfi ndig gemacht. Zu ihr musst du als Nächstes. Es ist notwendig, dass die Zeichen innerhalb dreier Jahre nacheinander aufgefunden werden und durch deine Hand hierher- gelangen. Sonst ist alles umsonst. Auf Wien folgt Spanien.«
Leonie schnappt nach Luft. »Aber«, sagt sie gedehnt, »wie soll das denn gehen? Wie soll ich meinen Vater davon überzeugen, dass ich ... irgendwie nach Wien muss?«
»Das ist deine Sache!«, erwidert Isabelle und verzieht die Mundwinkel, als würde man sich bei völlig belanglosen Details aufhalten. Sie fährt fort: »Was den spanischen Zweig der Familie angeht, da muss Gaston noch ein paar Nachforschungen anstellen. Das wird wahrscheinlich das Schwierigste werden. Mein jüngster Bruder hat es weder sich noch anderen leicht gemacht, niemals. Ich werde dir später mehr von ihm erzählen. Ich denke, er wird wohl auch mit seinen Nachkommen nicht so einfach aufzustöbern sein. Aber dazu hat Gaston ja noch fast zwei Jahre Zeit.«
»Jedes Jahr ein Buchstabe? Habe ich das recht verstanden?«, fragt Leonie.
Isabelle nickt. »Das ist unabdingbar. Nur so kann es sich erfüllen.«
»Und ich muss ihn persönlich fi nden?«
»So ist es. Und persönlich hierherbringen. Von Hand zu Hand. Aus der Hand einer jungen Lasker in die Hand einer alten Lasker. So ist es bestimmt. Sonst kann ich das Werk nicht vollbringen.«
»Aber – wie soll das denn möglich sein?«
Sie sucht nach Worten, doch Isabelle lässt sie nicht ausreden. »Leonie, wenn du nur wirklich willst, wird es keine Probleme geben«, sagt sie fest. »Die Zeichen warten darauf, erlöst zu werden und hierherzugelangen. Sie warten auf dich.«
Wieder einmal überläuft es Leonie kalt.
Gaston übernimmt. »Ich denke jetzt an deinen Vater, Leonie. Hat er Zukunftspläne mit dir?«
Leonie zuckt mit den Achseln. »Er weiß, dass ich Schauspielerinwerden möchte, und würde mir diesen Wunsch auch erfüllen. Aber im Augenblick ...«
»Das wird nun kein Problem mehr sein«, sagt der alte Mann mit einem Lächeln. »Isabelle und ich werden dir die beste Ausbildung bezahlen, die nur möglich ist. Wenn dein Vater erfährt, dass du« – er blickt Isabelle kurz an und die nickt – »auf die Schauspielschule ge hen kannst, die dem Wiener Burgtheater angeschlossen ist, wird er dir sicher keinen Stein in den Weg legen.«
»Ihr wollt ...« Leonie glaubt, sich verhört zu haben.
»Wir wollen und wir werden. Du kannst in Wien an diese Schule gehen. Du kannst dir aber auch einen Privatlehrer nehmen, den du dir aussuchst, den besten, versteht sich. Und später ein Volontariat an einer renommierten Bühne. Je nobler, desto besser. Wir kommen für alles auf.«
Leonie glaubt zu träumen. Kann das denn wahr sein? Man bietet ihr die Erfüllung ihres Lebenstraums an ... Alles ist ein bisschen viel. Sie kommt sich vor, als würde sie abwechselnd in heißes und kaltes Wasser getaucht. Alles an diesem Tag: Isabelles Vision und ihr, Leonies, Mit-Leiden, das feierliche Sabbatessen und nun – sie schließt für einen Moment die Augen. Hoffentlich platzt das nicht alles wie eine Seifenblase, wenn man in die Hände klatscht.
»Und das alles nur, weil ich diese drei Zeichen suche?« Sie schüttelt ungläubig den Kopf.
»Kind«, sagt Gaston, »du erweist Isabelle einen unschätzbaren Dienst!«, aber Isabelle unterbricht ihn: »Nein. Sie erweist den Juden einen Dienst, der vielleicht lebensrettend ist.« Ihre Stimme ist so voller vibrierender Energie, voller jagender Leidenschaft, dass Leonie angst wird.
»Aber was ist, wenn ich die Buchstaben nicht finde?« Sie sieht von einem zum anderen.
Isabelle scheint nun förmlich zu
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