Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
anzusehen. Es ist ein besonders großes Tier, fast ein kleiner Drache, leuchtend in Grün und Braun, die Kehle pulsiert.
»Ade, du Schöne!«, sagt Leonie leise. »Ich wollte, ich könnte bleiben.«
Die Echse verschwindet so schnell, wie sie aufgetaucht war.
Ja, sie muss fort. Und die Landschaft verleiht ihr die Kraft, das auszuführen, was sie tun muss: Nein zu sagen.
Angenehme Kühle umgibt sie in der Halle. Niemand scheint da zu sein. Die Tür zur Küche ist nur angelehnt. Leonie wirft einen Blick hinein. Mein Gott, Isabelle! Sie kehrt ihr den Rücken zu und tut irgendetwas am Tisch, summt vor sich hin. Hat wohl von Leonies Kommen nichts gemerkt.
Jetzt könnte man noch schnell und leise drei Schritte rückwärts machen und dann im Zimmer verschwinden. Aber nein. So macht man das nicht.
Leonie geht in die Küche, um den Tisch herum, und fast bleibt ihr der Gruß im Halse stecken, so verblüfft ist sie, denn Isabelle bietet einen ungewöhnlichen Anblick. Sie hat eine Schürze umgebunden und knetet Teig. Der hölzerne Tisch ist halb bedeckt von der Teigmasse und die Arme der »Ahnfrau« sind bis zu den Ellenbogen mit Mehl bestäubt.
»Bonjour, Leonie!«, grüßt Isabelle indessen unbefangen, als wäre gestern Abend nichts geschehen. »Kannst du mir bitte dieses dumme Haar aus dem Gesicht nehmen? Es stört.«
Sie dreht den Kopf hin und her. Eine schwarzsilberne Strähnehat sich unter dem Kopftuch, das sie für diese Arbeit umgebunden hat, hervorgeschlichen und hängt ihr direkt vorm Auge.
Scheu nimmt Leonie das Haar mit spitzen Fingern und schiebt es unter das Tuch. Das Herz klopft ihr dabei. Es ist das erste Mal, dass sie diese geheimnisvolle, Furcht einfl ößende Person berührt...
Isabelle lächelt. »Danke. Du siehst, es gibt Dinge, die lässt sich eine Hausfrau nicht nehmen. Zum Beispiel Challoth zu backen.« »Challoth?«
»Das sind Mohnzöpfe, die man speziell am Sabbat isst. Heut ist Freitagabend. Sabbatbeginn. Ich freue mich schon auf die Feier mit dir. Der Sabbat ist ein besonderes Fest.« Und bevor Leonie etwas erwidern kann, hält sie ihr ein Stückchen rohen Teig hin. »Koste! Ist es gut so?«
»Du hast Anis daran getan?«
Isabelle strahlt. »Richtig. Eine Spur Anis. Und du hast eine feine Zunge.« Sie knetet weiter. »Hast du dir das mit dem Kochen von deinem Vater nur abgeguckt oder hat er dich direkt unterrichtet?«
»Er hat es mir schon beigebracht, in den Grundzügen. Als meine Mutter gestorben war, hat er mich kurzerhand an den Herd gestellt. Hat gemeint, er sieht nicht ein, warum er zu Haus auch noch kochen muss, wenn er es doch schon den ganzen Tag tut – aber schmecken sollte es eben auch.«
»Verstehe. Und er hat dir auch das Geheimnis von Fuego y sapor beigebracht?«
Leonie nickt.
Isabelle lächelt. Dann fragt sie ernst: »Wann ist deine Mutter gestorben?«
»Ich war zwölf«, sagt Leonie.
»Das muss schwer sein.«
»Ja.«
Für einen Moment ist es still in der Küche.
»Wenn ich dich bitten würde, mir beim Kochen zu helfen – würdest du mir da einen Korb geben?«, fragt Isabelle mit schief gelegtem Kopf.
Eigentlich ist Leonie entschlossen, abzufahren, bald, nicht erst am späten Abend. Doch es macht ja nichts, wenn man sich vorher noch von seiner guten Seite zeigt und den beiden ihre Gastfreundschaft vergilt, wenn sie sie denn schon so enttäuschen wird.
9
Mohnzöpfe – Challoth – backen, eine goldfarbene, duftende Hühnersuppe zubereiten, einen Salat aus gelben Wachsbohnen und Chilischoten zaubern. Im Ofen brutzeln ein paar Täubchen. Nur der Nachtisch fehlt noch.
Du lieber Himmel, wer soll das alles essen? Erwarten wir Gäste?
Isabelle zieht sich einen Stuhl in die Ecke, setzt sich hin, schlägt die Beine übereinander, raucht eine lange dünne braune Zigarette und sieht mir bei der Arbeit zu. Manchmal gibt sie mir ei nen kleinen Hinweis, so: »Vergiss die Prise Salz an der Vanillecreme nicht. Zu allen süßen Speisen immer das Quäntchen Herzhafte, zu allem Herzhaften der Hauch Zucker!«, und wenn ich ein bisschen ungeduldig »Ich weiß!« sage, wirft sie den Kopf zurück und lacht.
Nein, sie wirkt jetzt überhaupt nicht wie eine alte Frau, und schon gar nicht wie eine Frau, die mit Visionen und Zahlensymbolen umgeht.
Zu meiner großen Erleichterung schneidet Isabelle »das Thema« überhaupt nicht an. Sie fragt mich im Gegenteil nach meinem Leben in Berlin aus. Ich erzähle, dass mein Vater arbeitslos ist. Von meiner Leidenschaft für das Theater.
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