Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
drei Tage später mache ich eine schreckliche Entdeckung bei mir zu Haus.
Wenn ich nun schon mit meiner Suche auf der Laskarow-Spur zunächst nicht weiterkomme, so will ich doch wenigstens im eigenen Haus wirklich alles um und um gekrempelt haben. Der Vater benimmt sich so verbohrt und verdreht, wenn auch nur der leisesteHinweis auf eine jüdische Abstammung ins Spiel kommt, dass ich den Gedanken nicht loswerde, irgendwo ist noch etwas Verborgenes. Vielleicht etwas, das er selbst vergessen oder verdrängt hat, wie dies Foto und dieser Theaterzettel, und das mir weiterhelfen kann.
Da trifft es sich, dass der Vater erklärt, er wolle sich bei dem schönen Wetter (endlich ist es sommerlich warm), ein bisschen die Beine vertreten.
Nun habe ich freie Hand im Wohnzimmer.
Lora fliegt mir fröhlich kreischend auf die Schulter. Als sie merkt, dass ich mich am Büfett zu schaffen mache und Schubladen und Türen öffne, trippelt sie unruhig von einem Fuß auf den anderen und knispert aufgeregt mit dem Schnabel. Dies Tier ist die Neugier in Person, immer versessen darauf, etwas zu erkunden. Mit ihr macht das Stöbern gleich Spaß.
In letzter Sekunde gelingt es mir, eine Docke bunter Wolle, die noch von meiner Mutter stammt, zu retten. Der Vogel war ganz versessen darauf, mit Schnabel und Krallen darin herumzufahren.
Da sind unsere Fotoalben. Hochzeitsfotos. Ich als Baby. Meine Mutter und ich ... ich blättere schnell hindurch, lege die Alben zur Seite. Ich mag das jetzt nicht sehen. Da findet sich bestimmt nichts Neues drin, das kenne ich alles. Ansonsten gibt es viele leere Fächer im Büfett. Das bisschen Porzellan, das silberne Teegeschirr – alles wurde versetzt in der letzten Zeit.
Papierschlangen und Kunstblumen.Das war unser letzter gemeinsamer Fasching, als Mutter noch lebte. Seitdem haben wir so etwas nicht wieder vorgekramt.
Der Weihnachtsbaumschmuck. Aufgeregt versucht Lora, einen Lamettazopf zu entwirren. Auch das muss ich ihr verbieten und sie fliegt beleidigt zurück auf ihren Käfi g.
Alle Türen und Kästen lassen sich entweder einfach am Griff oder mit dem gleichen Schlüssel öffnen. Nur eine Schublade zwischen zwei anderen ist verschlossen und der Schlüssel ist nicht vorhanden.
Mir kribbelt’s im Bauch. Wie geht doch die Geschichte vomRitter Blaubart? Ich habe das Stück vor ein paar Monaten in den Kammerspielen gesehen. Der Ritter hatte seiner Frau verboten, eine bestimmte Kammer im Schloss zu öffnen. Als sie es doch tat, fand sie darin ihre zerstückelten Vorgängerinnen ... Fast muss ich lächeln. Der Vergleich hinkt ja nun wirklich. Nicht dass ich meinem Vater wirklich etwas Schlimmes zutraue. Aber verschlossen ist verschlossen. Und wenn man etwas verstecken will, was mit Vergangenheit oder gar goldenen Buchstaben zu tun hat, dann würde man es ja wahrscheinlich auch einschließen.
Ein alter Küchentrick ist es, die Schublade über der verschlossenen ganz vorzuziehen, sie auszuhebeln und herauszunehmen. So kommt man an den Inhalt der darunterliegenden heran. Auf diese Weise verschaffte ich mir früher Zugang zum Lakritzvorrat meiner Mutter – bis die Sache auffl og.
Ich versuche es also mit der Schublade, in der Vaters Schriftverkehr mit den Ämtern, von einem Gummiband zusammengehalten, aufbewahrt ist. Aber die bewegt sich nur bis zu einem bestimmten Punkt. Dann klemmt sie. Ich verdrehe den Hals, um die Ursache zu fi nden, und sehe, dass sich einfach ein Stückchen Papier zwischen Falz und Schiene verirrt hat. Aber ich gelange mit der Hand nicht bis zu der Stelle.
Lora sitzt immer noch auf ihrem Bauer und sieht mir mit schief gelegtem Kopf zu.
Ich will es wissen! Vielleicht kann mir das Tierchen ja helfen! Ich ziehe behutsam das Bündel mit der Ämterpost heraus, damit Platz ist für Lora.
Dann locke ich den Vogel zu mir, nehme ihn auf den Finger und führe die Hand, soweit es geht, in die Schublade ein. Kluger Sittich! Lora begreift sofort, was hier die kniffl igste und darum interessanteste Aufgabe ist: dies Stück Papier vorzuziehen. Nach ein paar Anläufen hat sie es dann tatsächlich geschafft. Ich lobe sie und überlasse ihr die Beute zum Zerfetzen. Und nun die Lade herausnehmen. Nun kann ich mir den Inhalt darunter ansehen.
Hätte ich’s nur nicht getan.
Das Erste: Vaters Orden und Ehrenzeichen aus dem Weltkrieg,Eisernes Kreuz und Schützenschnur. Wa rum er die wegschließt, weiß ich nicht. Vor allem das Eiserne Kreuz, das er ja oft zu den Treffen der Kameraden anlegt ...
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