Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Dann eine Anstecknadel, die ich noch nie bei meinem Vater gesehen habe. Sie ist aus Metall, und darauf sehe ich etwas, das mir einen Schrecken einjagt: ein Emblem mit einem Helm, einem Kranz, Fahnen und einem Adler. Weiter (mein Schrecken wird tiefer): ein rotes Mitgliedsbuch, ebenfalls mit einem Emblem verziert. Ein Stahlhelm, auf dem in zackiger Runenschrift »Der Stahlhelm« steht. Ich schlage das Buch auf und lese, dass Harald Lasker seit 1921, also seit zwei Jahren, Angehöriger dieses Frontkämpferbundes ist.
Stahlhelm? Das sind doch diese Schläger, diese Gewalttätigen, von denen meine Mutter mit so viel Verachtung sprach in dem Jahr nach dem Krieg? Sie hasste alles, was mit Militär und Krieg zu tun hatte. Zu schrecklich war für sie die Zeit gewesen, als Vater an der Front war. Offenbar hatte er schon zu Lebzeiten meiner Mutter mit dem Gedanken gespielt, diesem »Stahlhelm« beizutreten und nur ihr zuliebe darauf verzichtet. Ich war ein Kind, ich hörte solche Aus einandersetzungen immer nur mit halbem Ohr, wollte nur nicht, dass sich Mama und Papa streiten. Doch ich erinnere mich, er sagte damals: »Aber ich brauche doch den Kontakt zu den Kameraden!«
Seit zwei Jahren gehört er nun also dazu. Nie hat er zu mir davon auch nur ein Sterbenswort erwähnt. Und ich hatte geglaubt, es sind nur ein paar Männer aus seinem Regiment, mit denen er im Schützengraben lag, Seite an Seite, mit denen er sich traf, und in der letzten Zeit immer häufi ger ...
»Stahlhelm.« Ich erinnere mich, da stand kürzlich etwas in der Zeitung. Leute vom Stahlhelm haben jemanden fast totgeprügelt.
Und dann liegt da noch etwas in einem grauen Tuch in der Lade, weiter hinten. Fasst sich hart an.
Ich nehme es heraus und schlage das Tuch auseinander. Habe ich geschrien? Ich weiß es nicht. Jedenfalls flieht Lora aufgescheucht bis auf die Gardinenstange.
Es fällt mir einfach aus der Hand, das Ding. Die Pistole. Liegt daauf dem Teppich, und eine Schachtel Munition dazu und irgendwelches Putzzeug und Fläschchen, die zum Glück nicht zerbrechen, sondern nur durch die Gegend rollen.
Mein Vater hat eine Waffe.
Meine Hände fliegen. Ich hocke mich auf den Boden und sammele alles wieder in das Tuch. Mit spitzen Fingern greife ich mir zuallerletzt das Schießeisen und lege es auf den anderen Kram, wickele es ein und verstaue es. Ich habe Mühe, die obere Schublade wieder richtig »einzufädeln«, so zittrig, wie ich bin.
Dann setze ich mich auf den Boden und versuche es mit ruhigem Atmen. Langsam ein und aus.
Dass Waffenbesitz im besiegten Deutschland für Zivilisten grundsätzlich verboten ist, das weiß jedes Schulkind. Ist es vielleicht so, dass jeder dieser »Stahlhelmer« eine Waffe daheim hat, sie vielleicht sogar ausgehändigt bekommt bei der Aufnahme? Oder hat es einen anderen »Grund«? Oh, Vater, worauf lässt du dich da ein! Ich habe Angst um ihn.
Irgendwann muss ich mit ihm reden, muss ihn fragen ...
Aber in spätestens einer Stunde oder eher kommt er nach Haus und da muss hier alles wieder so aussehen wie vorher.
Hastig rücke ich zurecht und schiebe gerade, schließe die Schublade und lege die Alben so hin, wie sie vorher lagen.
So sieht das also aus. Statt eines hebräischen Zeichens eine deutsche Pistole. Herzlichen Glückwunsch, Fräulein Lasker, zu Ihrer – wie schrieb doch der alte Laskarow – Meschpoche.
Aber eins steht nun wohl fest: In diesem Haus findet sich keinerlei Hinweis auf einen goldenen Buchstaben. In seinem Hass auf alles Jüdische hätte der Vater so etwas längst zu Geld gemacht. Er hat es ja selbst gesagt.
Ich muss mir meinen Plan zurechtlegen, wie ich zu den Laskarows komme. Nun erst recht. Ich werde nicht aufgeben, werde weitersuchen.
Als ich dann in meinem Kämmerchen auf dem Bett sitze, die Hände im Schoß, da ist es mit meiner Fassung vorbei.
Erst einmal muss ich eine Runde weinen.
11
Es war eine Versuchung, zu Schlomo Laskarow in die Vorstellung zu gehen. Irgendwie wäre ich schon reingekommen. Darin habe ich ja Übung. Fast immer schaffe ich es.
Zu wissen, dass da drinnen in ein paar Minuten ein junger Mann in einer albernen Verkleidung und einem blöden Blechschwert an der Seite zur Rampe vorschwebt und ein Lächeln wie einen Sonnenstrahl über das Publikum hingleiten lässt, und ich stehe hier und bin nicht dabei, um ihn zu sehen – kommt mich hart an. Aber ich muss mich jetzt zusammenreißen. Ich habe mir heute etwas anderes vorgenommen.
Ich bin in dem verlassenen
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