Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
jetzt zu tun«, sagt sie. »Komm in zwei Tagen erst einmal zu uns nach Haus. So gegen elf. Meine Männer müssen dich ja auch begucken.«
»Wo ist das?«, frage ich, und mein Herz hüpft. Nach Haus? Und ihre Männer! Besser kann es ja gar nicht kommen.
Sie sieht mich an, als müsste das jeder Mensch wissen. »Na, am Spittelmarkt, Ecke Wallstraße. Das Haus mit den schmiedeeisernenBalkons. Beletage.« (Also die Armut scheint meine Verwandtschaft nicht zu drücken.)
»Dann also abgemacht!« Sie streckt mir eine kleine, mollige, ringgeschmückte Hand hin und ich schlage ein. »Wie heißt du eigentlich, Puppchen?«, werde ich gefragt.
Vorsicht. Ich schlucke. Dann sage ich: »Leonie Landau.« Und die Mutter des Heldendarstellers konstatiert: »Schejner Name!«
Das ist also meine Familie am Spittelmarkt. Vater, Mutter, Sohn. Ich bin wirklich nicht mehr nur Leonie Lasker, das Kind meines Vaters und sonst nichts.
Isabelle, was hast du mir jetzt schon eingebracht! Ein Abenteuer, eine Verwandtschaft, ein weites Feld zum Suchen. Und verliebt bin ich auch noch.
Der Vater ist sehr angetan, als er hört, dass ich jetzt zum Lebensunterhalt beitragen kann. Über die merkwürdigen Arbeitszeiten, die ich vorgebe, da in der Schneiderei des Deutschen Theaters zu haben, scheint er sich keine Gedanken zu machen. Er kommt mir merkwürdig abwesend vor. Ich versuche, ihm auszuweichen. Nichts ist scheußlicher, als wenn man hinter die Geheimnisse der Leute kommt, die man liebt und denen man vertraut.
In der Nacht, bevor Leonie zu den Laskarows geht, hat sie einen Traum. Eigentlich ist es ein »doppelter Traum«. Sie träumt und sieht sich dabei gleichzeitig zu.
Sie ist wieder in den Pyrenäen, auf dem Hochplateau, es herrscht Dunkelheit ringsum, die Zikaden schrillen, das Feuer brennt und die Luft riecht nach Thymian und Lavendel. Isabelle und Gaston drehen sich im Tanz, und in diesem Traum hört sie die Musik, ohne dass da ein Grammofon wäre, und eine weiche und zugleich metallische Män nerstimme singt den Text. Sie kennt diese Stimme, aber wem gehört sie nur?
Dann kommt das alte Paar zu ihr, und die »Ahnfrau« sagt: »Hast du die Zeichen, Leonie?«
»Ich habe die Zeichen noch nicht gefunden«, sagt Leonie im Traum, und sie wirft sich unruhig im Bett hin und her.
»Beeile dich! Der Golem ist fertig. Wenn du nicht bald mit den Zeichen kommst, zerfällt er wieder zu Staub!«
»Er ist fertig? Aber wo ist er denn?«
»Dreh dich um. Er steht hinter dir.«
Und die Traum-Leonie dreht sich langsam um, das Herz voller Furcht.
Ja, da ist eine Gestalt im unsicheren Schein des Feuers. Aber es ist kein plumpes Geschöpf aus Lehm, sondern ein lebendiger junger Mann, der sich bewegt und auf sie zugeht.
»Leonie!«, sagt er. »Hast du die Zeichen für mich?«
Und jetzt erkennt sie ihn an der Stimme. Es ist Schlomo Laskarow.
Sie stürzt auf ihn zu und sie berühren sich. Es scheint, dass sie beide aufl odern. Es ist wie eine lebendige Flamme, die durch sie hindurchschießt, und die Leonie, die in ihrem Bett liegt, dreht und wendet sich voll Glück hin und her. Sie lächelt.
Und dann wiederholt er die Worte Isabelles: »Hast du die Zeichen? Sonst muss ich zu Staub zerfallen!«
»Aber du doch nicht!«, ruft sie voller Entsetzen, und plötzlich ist er nicht mehr da, und Gaston auch nicht, nur Isabelle dreht sich im Tanz um sich selbst und singt. Singt das Lied, das andere Lied. »Una sañosa porfía.« Das von dem erbitterten Eifer der Vernichtung.
»Gib ihn mir wieder!«, schreit die Traum-Leonie, doch dann löst sich alles auf um sie her und formt sich neu. Und sie läuft durchs Scheunenviertel und hält jemanden fest. Und das ist er wieder, aber er hat eine furchtbar kalte Hand.
Leonie in ihrem Bett weint im Traum.
Aber dann versinkt sie in andere Schlaftiefen. Und als sie am Morgen erwacht, erinnert sie sich an die Bilder, aber sie kann sie nicht deuten. Ein Traum von Hermeneau. Und von Schlomo.
Ein unbestimmtes Ziehen in der Brust bleibt auch am Tage – und das Gefühl, dass man sie vorwärtstreibt.
12
Zwei Tage nach dem Gespräch mit Madame Laskarow steigt Leonie pünktlich um elf aus der U-Bahn am Spittelmarkt. Sie hat sich modest angezogen, sieht sehr sittsam aus in ihrem dunkelblauen Kleid mit hübschem Kragen.
Es ist warm. Die Sonne scheint ihr in die Augen und blendet sie. Um diese Stunde ist es in der feinen Gegend hier ruhig. Es sind kaum Passanten unterwegs. Eine alte Dame führt ihr Hündchen aus, ein
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