Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
in die Höhe. »Buchteln? Das soll ich dir glauben, ja? Ach, und woher hast du das Fett und die Eier dazu genommen?«
Die ganze Lügerei hat keinen Zweck.
»Ich hab damit Eintritt bezahlt bei einem Theater, das statt Geld Naturalien verlangt«, sagt sie und schlägt die Augen nieder.
»Pfi ffi g«, kommentiert der Vater und verschließt die Dose. »Dafür fällt unser Omelett nun aus. Ich wusste gar nicht, dass im Rose- Theater jetzt Mehl statt Geld genommen wird.«
»Da war ich nicht, Papa.«
»So? Wo warst du dann gestern Abend?«
Leonie trocknet sich die Hände ab und stellt sich vor ihren Vater hin. Sie merkt, dass ihre Wangen zu glühen beginnen. Nun sieht sie ihm fest ins Gesicht. »Ich war in den Sophien-Sälen. Im Theater der Laskarows«, sagt sie. Und obwohl sie sieht, wie Harald Laskers Adamsapfel sich auf und ab bewegt, wie der Muskel in seiner Wange zuckt, fährt sie schnell fort: »Die Laskarows sind Verwandte von uns,nicht wahr? Der Zwillingsbruder von Großvater Leo ist gar nicht jung gestorben!«
»Wer hat dir so etwas erzählt? Die merkwürdige alte Frau in Frankreich?«, fragt er mit leiser Stimme.
»Nein, Papa. Ich hatte das Foto von den beiden Jungen, als ich es dir gezeigt habe, schon vorher aus dem Album genommen und die Rückseite gelesen. Da stand: Lasker-Laskarow.«
Harald Laskers bräunliches Gesicht ist graublass jetzt. Langsam stellt er die Mehldose in den Küchenschrank zurück. Dann dreht er sich zu seiner Tochter um und packt sie so hart an den Schultern, dass sie aufschreit. Er wird nicht laut. Er bleibt gefährlich leise. »Du wirst nie wieder dorthin gehen!«, sagt er. »Nie wieder! Ich verbiete es dir. Du wirst nie wieder deine neugierige Nase in Dinge stecken, die dich nichts, aber überhaupt nichts angehen, verstehst du mich? Wir haben keinerlei Gemeinsamkeit mit diesen ungewaschenen Jidden!«
»Aber Papa, warum ...«
»Hör einfach auf damit!«, sagt er und gibt ihr einen Stoß, dass sie zurücktaumelt gegen den Herd. Im letzten Moment kann sie sich festhalten, sonst wäre sie gefallen.
Leonie ist nicht gewohnt, geschlagen oder sonstwie misshandelt zu werden. Die Mutter, in der schweren Zeit, als ihr Mann im Feld war, die gab ihr wohl mal einen Klaps oder einen Katzenkopf. Aber der Vater? Niemals. Ihr schießen die Tränen in die Augen.
Harald Lasker wendet sich ab und lässt sich auf einen Stuhl fallen. Er hält sich mit beiden Händen die Schläfen. »Mädchen, du weißt nicht, was du tust!«, murmelt er, ohne auf ihre Tränen zu achten. »Alles, was meinem Vater und mir wichtig gewesen ist, was wir aufgebaut haben – du bringst es in Gefahr.«
»Ich versteh dich nicht Papa!«, sagt Leonie trotzig und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. Am liebsten hätte sie losgeheult wie ein kleines Kind. »Wäre es denn so schlimm, wenn ...«
Sie kann den Satz nicht zu Ende sprechen.
»Ja, es wäre schlimm! Es würde mein Leben durcheinanderbringen. Das bisschen, was davon noch in Ordnung ist.«
»Wieso? Wärst du da ein anderer Mensch als jetzt?«
»Leonie, hör auf!« Jetzt endlich wird er laut. »Ein für alle Mal: Du wirst das nicht weiter verfolgen. Wenn ich dahinterkomme, dass du es doch machst, sperre ich dich ein. Das ist mein blutiger Ernst.«
Leonie blitzt ihn an mit feuchten Augen. »Ist ja schon gut, ich habe verstanden«, sagt sie. »Bitte, schrei mich nicht an.« Sie geht an ihm vorbei in ihr Kämmerchen und wirft sich aufs Bett – viel mehr Platz ist ja ohnehin nicht.
Wie soll das alles weitergehen?
Zwei Tage danach hat der Schalterbeamte einen postlagernden Brief für sie. Ein üppiges Kuvert, Bütten handgeschöpft. Eine weit ausholende Schrift.
Mit klopfendem Herzen öffnet sie den Umschlag noch auf der Post. Das Blatt darin enthält nur drei Zeilen.
»Hochwohlgeboren Lasker!
Ich habe in Berlin keine Meschpoche.
Also lassen Sie mich in Ruhe.
Mit Grüßen Mendel Laskarow, Theaterdirektor.«
Meschpoche, das heißt denn wohl: Verwandtschaft.
Abgeblitzt. Leonie lässt den Brief sinken. Sie wollen nichts voneinander wissen, die verfeindeten – warum nur verfeindeten? – Verwandten. Sperre hier und Sperre da.
Und wie komme ich nun an Isabelles Buchstaben (wenn überhaupt, kann er doch wohl nur dort, bei den Laskarows sein ...)? Der Brief wird zerrissen und wandert gleich in den Papierkorb. Aber so schnell gibt Leonie Lasker nicht auf. Vor allem wenn die
Buchstabensuche bestimmte Begegnungen einbringen könnte.
Wieder
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