Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Betreuungsmöglichkeiten, als sie ein Hotel bieten kann.«
Sie schaut an die Decke, als stünde dort die aktuelle Ausgabe des »Münchners« angeschlagen.
»Wie war das? ›Zeitgemäße Familienhotels erfordern zeitgemäße Betreuungsmöglichkeiten.‹ Oder: ›In keiner Kita liegen Brotmesser in Kinderhöhe – warum in einem Familienhotel?‹ Keine Ahnung, wie man auf solche Ideen kommt. Ist eher so ein Expertenkommentar: sehr familienpolitisch aufgeladen.«
Ich verabschiede mich lächelnd und halte nach meinem Platz Ausschau.
Auf einem ziemlich entlegenen Einzeltisch entdecke ich ein Kärtchen mit meiner Zimmernummer. Dort ist nur für eine Person gedeckt. Ich lege das Magazin mit Annes Verriss zur Seite und stelle den Bubsi darauf. Dann schlage ich die letzte Seite der letzten Ausgabe der Hotelbroschüre auf.
Prinz Julio sucht sein Königreich
Eine Gutenachtgeschichte
von unserem Gast Caspar Hartmann
Es war einmal, vor ziemlich kurzer Zeit, ein Prinz namens Julio, ein sogenannter Partyprinz. In seinem Königreich nannte er eine riesige Party sein Eigen. Dort lebten alle Menschen glücklich und ausgelassen, feierten, lachten, sangen und tanzten den ganzen Tag. Wörter wie Weinen oder Depression hatte er frühzeitig verbieten lassen, nachdem seine wunderschöne Prinzessin von einem bösen Drachen entführt worden war. Jeden Tag suchte er mal hier, mal dort ein wenig, kehrte aber immer wieder abends nach Hause ins verwaiste Ehebett zurück – mal allein, mal zu zweit, nie zu dritt, auch wenn die Minnesänger anderes behaupteten.
Eines Tages wagte er sich bei seiner Suche über die Grenzen seiner Party hinaus und verlor sein Königreich – erst aus den Augen, dann aus dem Sinn. Richtig traurig war er nicht darüber, denn Traurigsein war ja nicht seine Art.
Direkt dort, wo seine Party aufhörte, begann ein Königreich namens Problemchen, an dessen Grenzen er die Problemprinzessin Anne Mosität traf. Die war von einem Terrorgnom besessen, der ständig auf ihrem von Migräne geplagten Kopf herumhüpfte. Die Prinzessin hatte, weil es die Tradition so verlangt, und ein bisschen auch aus Tierliebe, vor ein paar Tagen einen Frosch geküsst. Der hatte sich daraufhin in einen Königssohn verwandelt, der so stark war, dass er alles kaputt machte, was ihm in die Hände fiel. Sein Vater regierte das allergrößte Königreich der Erde, und wenn der Prinz eine kluge Prinzessin fände, würde er dieses Königreich erben. All das verriet der starke Königssohn natürlich niemandem, sondern sang Anne wunderschöne Lieder vor und erlegte mit dem kleinen Finger der linken Hand ein paar Drachen, woraufhin sie ihn heiratete. Schließlich sahen sie beide zusammen auch echt gut auf den Gemälden aus. Neun Monate nach der Hochzeit gebar die Prinzessin kein Baby, sondern den Terrorgnom.
Weil sie und Prinz Julio zufällig denselben Weg hatten und er nicht wusste, dass er eine waschechte, wenn auch unglückliche Prinzessin vor sich hatte, begleitete sie ihn ein Stück. Je weiter die beiden zusammen gingen, desto öfter versuchte der Terrorgnom auch auf den Kopf von Prinz Julio zu hüpfen, was ihm immer häufiger gelang. Aber weil Prinz Julio sich für seine Partys eine Prinzentolle mit jeder Menge Pomade frisiert hatte, rutschte der Terrorgnom bisweilen von seinem Kopf herunter und landete auf den Schultern des Prinzen. Dort gefiel es ihm so gut, dass er immer seltener auf Anne Mositäts migränegeplagtes Haupt zurückkehren wollte. Und weil es sich so schön frei ohne Kopfschmerzen ging, begleitete die Prinzessin den Prinzen Julio immer weiter durch die Welt.
Durch ihre Klugheit und Julios an Dummheit grenzende Tapferkeit besiegten sie die Vorhut des bösen Drachen: Der Grinsehexe klauten sie die Brille, woraufhin sie blindlings ins Feuer stolperte, die Räuberfamilie Fröhlich besiegten sie im Wettessen und -trinken. Bei ihren Abenteuern näherten sie sich einander trotz aller Streitereien immer mehr an.
Doch gerade als Prinz Julio sein Königreich und den Grund für seine Wanderung fast vergessen hatte, kamen sie vor der Höhle des bösen Drachen an. Der Drache stürmte heraus und spuckte Feuer, aber Prinzessin Anne und der Terrorgnom lenkten ihn ab, sodass Prinz Julio ihn mit seinem Schweizer Taschenmesser enthaupten konnte.
Darunter kam die verlorene Prinzessin zum Vorschein. Sie war gar nicht entführt worden, sondern die ganze Zeit über ein Drache im Körper eines Menschen gewesen.
Ohne Prinzessin Anne Mositäts Hilfe und
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