Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Glück fängt in diesem Moment das Baby an zu schreien und zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Während ich Leonies Toast daumendick mit Nutella beschmiere, lässt Anne ihren Kopf in die Hände sinken.
»Stört es Sie, wenn der kleine Ben auch isst?«, fragt die Mutter.
»Nein, ganz und gar nicht«, entgegne ich. Hauptsache, ich muss nicht noch ein Kind bedienen und kann mich endlich wieder meinem Rührei widmen.
Plötzlich holt die Frau ihre linke Brust heraus und steckt sie dem Kind in den Mund, als wären wir hier am FKK-Strand. So etwas haben Frauen in meiner Gegenwart noch nie gemacht. Klar haben die sich ausgezogen, und natürlich weiß ich über Stillen Bescheid, aber den Vorgang an sich habe ich noch nie live miterlebt.
»Starren Sie mir auf die Brust?«
»Nein!«, entgegne ich entsetzt und versuche, meinen Blick auf Leonie zu richten. Die hat sich unterdessen die erste Hälfte Nutellabrötchen in den Mund gestopft.
»Ihr Kind hat einen gesunden Appetit«, beglückwünscht mich der Vater.
»Danke gleichfalls«, murmele ich verlegen. Zum ersten Mal ist mir eine nackte Brust unangenehm. Dabei bin ich doch sonst nicht so schüchtern.
»Wie alt ist Ihre Tochter denn?«, will er wissen.
Gute Frage. »Zwei«, rate ich.
»Zweieinhalb«, korrigiert Anne.
Leider kann ich mich gar nicht konzentrieren, solange diese nackte Brust in unserer Runde sitzt. Auch Leonie schaut dem kleinen Baby gebannt beim Trinken zu. Die Stille am Tisch wird nur durch genüssliches Schmatzen unterbrochen.
»Schade, dass wir heute schon fahren«, bemerkt der Vater schließlich. Ich sehe Anne erleichtert an.
Zum Glück fängt das Baby erneut an zu weinen, und seine Mutter steht auf, um es etwas herumzutragen. Auch Leonie wird unruhig und will unbedingt in dem riesigen Sandkasten vor dem Hotel spielen.
Beim Abschied bittet mich die Frau, ihrem Mann meine Handynummer zu geben, weil »der dringend mal wieder einen trinken gehen sollte«. Seit die beiden verheiratet seien, habe er den Kontakt zu seinen Kumpels abgebrochen und hocke nur noch zu Hause vor dem Fernseher, erzählt sie mir, während ihr Mann daneben steht. Ich nicke verständnisvoll und gebe ihm die Handynummer meiner Stalkerin Nadine. Die steht ja auf Familien.
Oben auf dem Zimmer stampft Anne vor Wut mit dem Fuß auf. »Wie kommst du bloß auf die Idee herumzuerzählen, dass ich schwanger sei? Und das auch noch vor dem dritten Monat?«
Ich erkläre ihr, dass der Typ wohl irgendetwas missverstanden haben muss, aber Anne glaubt mir kein Wort. Sie ist total sauer und meint, sie müsse jetzt »sofort ins Spa«.
Ich soll unterdessen mit Leonie im Sandkasten vor dem Hotel spielen, damit sie sich an mich gewöhnt und wir uns ein bisschen besser kennenlernen. Außerdem könne ich da beobachten, wie andere Väter mit ihren Kindern umgehen.
Anne drückt mir einen Zettel in die Hand. Darauf stehen Leonies wichtigste Daten: von Geburtsdatum, Körpergröße, Gewicht und Alter über Impfungen, Lieblingsessen und Lieblingsbücher bis hin zum Namen ihrer Lieblingskopfbedeckung: der Fützelmütz.
Gemeinsam verlassen wir das Zimmer. Anne hat uns einen Rucksack mit Vollkornkeksen, Obst, Windeln, Sandförmchen und anderen Kinderutensilien gepackt – als würden Leonie und ich zum Spielen mal eben die Zivilisation verlassen.
An der Rezeption treffen wir doch noch mal den werdenden Vater und seine Frau. Zum Glück ist die jetzt vollständig angezogen. Gerade haben sie ausgecheckt und tauschen Adressen mit Familie Fröhlich. Anne gibt schnell den Schlüssel ab, winkt mir zum Abschied und rennt in Richtung Spa.
»Halt!«, ruft ihr der werdende Vater hinterher. »Sie wollen doch nicht etwa in die Sauna?« Die Blicke der Anwesenden richten sich interessiert auf meine Frau. »In den ersten drei Monaten reagiert das ungeborene Kind stark auf ungewohnte Umwelteinflüsse. Durch bestimmte Düfte oder einen Aufguss können sogar Wehen ausgelöst werden.«
Herr und Frau Fröhlich schauen überrascht. So viel zum Thema Diskretion.
»Das lassen Sie mal meine Sorge sein«, flötet Anne lächelnd und nimmt lieber die Treppen, anstatt auf den Fahrstuhl zu warten. Jetzt richten sich die Blicke auf Leonie und mich.
»Wollen Sie Ihre Frau denn nicht aufhalten?«, fragt der Vater besorgt.
Ich schüttele den Kopf. »Frauen kann man nicht aufhalten.«
Jetzt nicken die beiden Männer synchron.
»Andererseits ist Saunieren ja auch gut gegen Wassereinlagerungen«, konstatiert Frau Fröhlich.
Ihr Mann
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