Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
anschubsen. Wenn es ihm Freude macht.
Wir schaukeln ein paarmal hoch, etwas höher und noch etwas höher. Leonie jauchzt vor Freude. Plötzlich höre ich den Balken über mir knarren. Ich drehe mich über die Schulter zu meinem Anschubser, aber der scheint voll in seinem Element.
Die Kinder in der Schlange rufen: »Höher, höher!«
»Caspar, stopp!«, bittet Leonie plötzlich. In dem Moment springt eine Öse der Schaukelkette aus dem Querbalken. Die linke Kette peitscht zur Seite, die Schaukel fällt quer hinterher, ich purzele zu Boden und Leonie auf mich drauf.
Ein Stich fährt durch meinen Rücken, ein erschrockenes »Huch!« geht durch die Reihen der Eltern, ich zähle die Sekunden, bis Leonie anfängt zu weinen. Aber die grinst mich nur fröhlich an.
»Lustig, oder?«, fragt sie eifrig. Ich nicke erleichtert.
Herr Fröhlich reicht mir die Hand. »Sachen gibt’s«, stellt er mit schlecht gespieltem Erstaunen fest und deutet mit dem Kopf zur Seite. »Ist echt gefährlich hier.«
Ich sehe ihm tief in die Augen und nicke. Eines hatte ich offenbar vergessen: Der Spielplatz ist die Arena der kleinen Leute.
Mein Gegner beugt sich über uns und schnüffelt. »Irgendwer hat sich hier in die Hose gemacht: Sind Sie das?«
Ein paar Eltern lachen. Ich rieche an Leonie. Sie stinkt tatsächlich.
»Dann werde ich sie mal wickeln gehen«, verkünde ich. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie das geht. Zur Not lasse ich einfach Anne ausrufen.
Herr Fröhlich und Paul winken zum Abschied.
Leonie winkt zurück.
Ich nicht.
Zum Glück ist Anne schon auf dem Zimmer. Sie macht sich Notizen, wahrscheinlich schreibt sie ihren ersten Triumph über mich auf. Um ehrlich zu sein, hätte ich mir so einen Sandkastenausflug mit Leonie nicht zugetraut.
Anne nimmt ihre Tochter gleich auf den Arm. »Hast du mich vermisst?«
»Nein!«
»Wie ist es denn so ohne mich, nur mit Caspar?«
»Es ist kompiziert«, antwortet die Kleine.
Meine Kollegin und ich lächeln wie stolze Eltern. Aber sofort haben wir uns wieder im Griff.
Den Rest des Tages verbringen wir zusammen im Spa. Dort entdecke ich heute nur die Familien mit ganz kleinen Kindern. Die größeren backen wahrscheinlich gemeinsam Pizza – das stand zumindest auf dem Tagesprogramm. Anne dagegen setzt sich gegen »jede Art von Kinderarbeit« ein, Leonie ist das Thema offenbar gleich, und ich werde nicht gefragt.
Was auffällt im Spa: Die meisten Mütter haben bessere Figuren als die Väter. Auch Anne könnte statt des ollen Badeanzugs locker einen Bikini anziehen. Die Architekten tragen selbst im Spa schwarze Bademäntel und darunter schwarze Badesachen.
Leonie planscht nur mit Schwimmwindel und Schwimmflügeln bekleidet herum. Anne wirft sie hoch und fängt sie auf. Ich bleibe lieber auf dem Liegestuhl und beobachte das Ganze vom Trockenen aus, denn ich weiß noch aus eigener Erfahrung, wie gern ich als Kind ins Becken gepinkelt habe.
Diesmal bringen wir Leonie noch vor dem Abendessen ins Bett. Sie ist von der frischen Luft und der Bewegung so müde, dass sie ohne Schnuller und Gutenachtgeschichte einschläft.
Die zweite gute Nachricht des Abends ist, dass wir diesmal nicht am großen Tisch der Direktorin sitzen können, weil der Empfang des Babyfons nicht durch die dicken Hotelwände dringt. Immer wieder laufen Anne und ich wie Amateurfunker auf der Suche nach außerirdischem Funkverkehr durch den Speisesaal, drücken Knöpfe an dieser Persiflage eines Walkie-Talkies, aber es bringt nichts: Der letzte Balken verschwindet kurz hinter dem Katzentisch am Eingang, auf dem der Käse steht.
Schließlich deckt Herr Béla dort für uns ein – sehr zum Bedauern von Frau Sommer, die es nicht so gern sieht, »wenn das Gesamtbild in Unruhe kommt«, aber schmallippig hinzufügt, dass sie »natürlich für alles Verständnis« habe.
Immerhin vermeiden Anne und ich so mögliche weitere Blamagen in ihrer Runde. Wir verzichten auf Vorspeise, Salate und Pausen zwischen den restlichen Gängen. Stattdessen fragt mich Anne die Fakten zu Leonie ab, als wären wir in einer Quizshow ohne Humor. Leider gibt es als Hauptgericht heute die von den Kindern gebackene Pizza aus dem Nachmittagsprogramm. Nachdem ich den Wissenstest halbwegs bestanden habe, erzähle ich von meinem Tag mit Leonie, und wir lassen den Beginn unserer Mission Revue passieren.
Zur Feier der ersten überstandenen Tage bestellen wir zwei Gläser Wein und stoßen an. Aber richtige Wärme will zwischen uns einfach nicht
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