Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
»Wahrscheinlich liegt es an deiner Gutenachtgeschichte, dass sie nicht schlafen kann. Oder daran, dass du ihre Schnuller verbrannt hast.«
Als sie die Kleine in unser Ehebett hebt, stehe ich auf und sehe an mir hinab.
»Schläfst du eigentlich immer so?«, fragt Anne spöttisch, während sie die Betten zusammenrückt und Leonie behutsam in die Besucherritze legt.
»So kann ich jederzeit abhauen«, antworte ich.
»Mach doch!«, entgegnet Anne bockig und legt Leonie auf meine Betthälfte. Da ist jetzt kein Platz mehr für mich.
Am ersten Abend meiner Ehe werde ich ausquartiert. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verlasse ich das Dreibettzimmer. Den meisten echten Vätern ergeht es jede Nacht so.
Auf dem Flur ist es so still wie kurz vor dem Mord in einem Horrorfilm. Aus journalistischen Gründen lausche ich an der nächstbesten Tür. Nichts, nicht mal ein Schnarchen. Entweder sind die Mütter und Väter um diese Uhrzeit noch gar nicht zurück im Hotel, sondern tummeln sich noch im Speisesaal und an der Bar, oder – und das klingt fast so unwahrscheinlich wie der Gedanke, dass ein Bevölkerungsdezimierungsvirus alle Familien ausradiert hat – sie sind alle schon schlafen gegangen. Um halb zehn.
An der Rezeption fährt Jeannie den Computer herunter, eine Putzfrau staubsaugt den Eingangsbereich, nur am Ende der Lobby brennt noch Licht.
Herr Schade hat mir vor meiner Abreise von verzweifelten Vätern berichtet, die sich nachts betrinken, wenn Frau und Kind endlich schlafen, um dem Familienwahnsinn wenigstens im Rausch zu entgehen. Einer dieser Männer habe ihm erzählt, so eine Familie sei, milde ausgedrückt, »die Hölle«. Ein anderer habe geschworen, wenn er noch einmal von vorn anfangen könnte, würde er nie Kinder zeugen. So ist mein Chef überhaupt auf die Idee zu dem Verriss gekommen. Und solche Zitate brauche ich.
Tatsächlich liegt auf der hölzernen Bar anstelle von Kinderpunsch ein Mann mit dem Kopf auf seinen überkreuzten Armen. Im Gegensatz zu Herrn Fröhlich trägt er bereits die typische Vaterwohlstandswampe. Gerade wird sie von einem weiteren Schluchzer geschüttelt.
Sieht aus wie der perfekte Informant: betrunken, enthemmt und allein. Ich stelle mein Handy auf Aufnahme, lege es mit dem Display nach unten neben ihn auf die Bar und setze mich. Den Kerl werde ich ordentlich ausquetschen. Der Barkeeper, er sieht dem ungarischen Hausmeister erstaunlich ähnlich, wirft mir einen fragenden Blick zu. Ich bestelle zwei Schnaps und stelle einen vor den Verzweifelten. Der hebt seinen Kopf und mustert mich dankbar.
»Auf die Familie«, sage ich listig und hebe mein Glas. Wir stoßen an. Er trinkt nur die Hälfte, dann bricht er in Tränen aus.
»Ist es so schlimm?«, frage ich ihn. Er sieht mich aus glasigen Augen an, legt den Kopf schief und mustert mich.
»Mir können Sie es erzählen«, wage ich mich vor. »Ich verstehe, was Sie fühlen – besser, als Sie vielleicht glauben.«
Plötzlich zieht ein Lichtblick über sein Gesicht. »Sie auch?«
Ich nicke, jetzt strahlt er noch mehr.
»Sie werden auch zum zweiten Mal Vater?«
»Äh, ja, also, ich weiß nicht«, stottere ich.
Der Mann macht eine abwiegelnde Geste. »Schon in Ordnung, vor dem dritten Monat dürfen Sie es sowieso niemandem erzählen. Ich traue meinem Glück ja selbst noch nicht. Obwohl heute der letzte Tag des dritten Monats ist. Vor Freude könnte ich die ganze Zeit heulen.«
Der letzte Tag des dritten Monats? Ist das irgend so ein Elternfeiertag? Er greift sein Schnapsglas und hält es mir zum Anstoßen hin. »Auf das zweite Kind.«
Ich zögere. Dann lassen wir die Gläser klirren.
Anstatt den Vater auszufragen, werde nun ich ausgequetscht. Wie oft wir »es« probiert haben, ob »es« beim ersten Kind leichter war, wann Anne angefangen hat, Folsäure zu schlucken, ob wir uns schon über einen Namen Gedanken gemacht haben, wie lange das Baby bei uns im Bett schlafen soll, wie wir Leonie auf ihr Geschwisterchen vorbereiten, ob wir langfristig aus der Stadt aufs Land ziehen wollen und welches neue Auto wir uns kaufen werden. Die meisten Fragen beantworte ich mit einem entschiedenen Schulterzucken.
Als ich noch einen Schnaps bestellen will, um seinen Redefluss zu unterbrechen, winkt er ab.
»Alkohol ist für dich ab sofort verboten – aus Solidarität mit deiner Frau.« Er winkt dem Barkeeper. »Eine Flasche Robbybobbys Blubberspaß, mein Guter! Jetzt lassen wir die Korken knallen! Wir haben etwas zu feiern.« Ich
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