Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
»Für die nächsten beiden Wochen bin ich dein Daddy.«
Die Kleine hört mir offenbar konzentriert zu. Sie nickt mit dem Kopf. »Bitte Breze!«, sagt sie so ernst, als wäre das Gebäck der Schlüssel zu ihrer Zuneigung.
Ich lächle verlegen und kremple hilflos das Futter meiner Hosentaschen nach außen. »Tja, leider habe ich gerade keine Breze dabei.«
Mit einem Mal verändert sich ihr Gesicht: Die großen blauen Kulleraugen werden noch etwas größer, sie klimpert mit den tiefschwarzen Wimpern, eine dicke Träne rollt vom rechten Auge über die Pausbacke. Es sieht aus, als versuchte sie mit aller Kraft, die Enttäuschung wegzudrücken. So ein kleines manipulatives Biest.
»Bitte … Breze«, wiederholt sie mit brüchiger Stimme.
Das ist ja der reinste Psychoterror! Ratlos schaue ich Anne an. Die ist damit beschäftigt, einen Kindersitz auf der Rückbank des Wagens zu installieren. Ich vergesse für eine Sekunde, dass mir das gar nicht passt, und wende mich wieder Leonie zu.
»Wir können ja noch an der Tanke halten«, schlage ich vor. »Die haben bestimmt einen Backshop!«
Aus dem Auto heraus höre ich Annes harte Stimme: »Es gibt jetzt keine Breze! Du kannst einen Apfel haben.«
Leonie fängt sofort an zu weinen. Anne streckt den Kopf aus dem Auto und schaut mich strafend an. »Was hast du jetzt schon wieder gemacht?«
»Gar nichts.«
Anne schüttelt abfällig den Kopf, nimmt Leonie aus dem Kinderwagen, legt sie an ihre Schulter und streichelt ihr über die Locken.
»Obi!«, befiehlt Leonie.
Ich sehe meine neue Frau fragend an. Beruhigt Leonie etwa der Anblick von Bohrmaschinen, Schmirgelpapier, Rindenmulch und neonfarbenen Wäscheständern? Ich dachte, daran erfreuen sich nur ältere Männer?
»Ihre Puppe, bitte«, erklärt Anne. »Der Name ist afrikanisch.«
Ich krame im Kofferraum. Ganz unten finde ich die Puppe und drücke sie Leonie in die Hand. Aber die starrt mich nur böse an.
»Du nicht«, schnauzt sie mich an und feuert die Puppe auf den Boden.
»Nicht werfen!«, ermahnt Anne ihre Tochter.
Ich zucke mit den Schultern, hebe den Obi auf und schmeiße ihn zurück in den Kofferraum. Sofort fängt Leonie wieder an zu weinen.
Ein weiterer strafender Blick meiner Kollegin. »Das mit dem Werfen gilt auch für dich«, sagt Anne, zieht einen Schnuller aus der Tasche und steckt ihn Leonie in den Mund. Sofort entspannen sich deren Gesichtszüge.
Anne deutet auf mich. »Das ist Caspar.« Ich winke und zwinge mich zu einem Friedensangebotsgrinsen. »Für die nächsten beiden Wochen ist er dein Papa«, erklärt sie.
Leonie starrt mich immer noch finster an und schüttelt den Kopf. »Nein!«
Was habe ich mir da nur eingebrockt? Die ist ja noch bockiger als ihre Frau Mutter. Kaum sitzt die Kleine im Kindersitz, höre ich von der Rückbank ihre fragende Stimme: »Wer war das?«
Die hat wohl zu viel gekifft. Anne seufzt, als hörte sie diese Frage nicht zum ersten Mal. Durch die Rückscheibe sehe ich, wie sie Leonie trotz Katzenschutz noch einmal einkremt und schließlich anschnallt. Als sie endlich damit fertig ist, fällt ihr Blick auf den Jogger.
»So, jetzt noch den Kinderwagen, und wir können los.«
»Der passt nicht mehr rein«, stelle ich fest.
Anne schüttelt den Kopf, was sie auch in den Themenkonferenzen immer macht, wenn ich neue Clubs oder aktuelle DJs vorstelle. »Leonie braucht einen Kinderwagen. Oder willst du sie etwa die ganze Zeit über tragen?« Sie drückt sich mit der Hand ins Kreuz und ahmt meinen schmerzverzerrten Gesichtsausdruck nach.
»Lass uns wenigstens einen Buggy mitnehmen, den kann man zusammenklappen.«
»Die haben im Hotel sicher sowohl Buggys als auch Kinderwagen in allen Größen«, behaupte ich. »In Seniorenheimen gibt es auch überall Rollstühle und Gehwagen.«
»Ganz sicher?«
»Klar.«
»Wehe, wenn nicht.«
Anderthalb Stunden später: Leonie starrt mich durch den Rückspiegel vom Kindersitz aus an. Dabei zieht sie ihre kleinen Augenbrauen böse zusammen wie ein Mafiaboss beim Pokern.
Der Kindersitz in meinem Mustang ist leider noch nicht das Schlimmste: Schon an der ersten Raststätte droht unsere Mission vorzeitig zu scheitern, weil Anne einen »Baby an Bord«-Aufkleber kauft und darauf besteht, ihn an die Heckscheibe zu kleben. »Zur Tarnung.« Aber diesmal bleibe ich hart. Ich erkläre ihr die kulturelle Bedeutung meines Autos und kann sie schließlich einigermaßen überzeugen. Schmollend steigt sie wieder ein.
Als wir wieder unterwegs sind,
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