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Dreifach

Titel: Dreifach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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verloren«, sagte Hassan.
    Rostows Miene verfinsterte sich. »Wie?«
    Hassan erklärte es ihm.
    »Und was tun sie jetzt?«
    »Ich schlug ihnen vor zurückzufahren.«
    Rostow grunzte.
    »Ich habe darüber nachgedacht, was wir als nächstes tun sollen.«
    »Wir müssen Dickstein wiederfinden.« Rostow hantierte in seiner Aktentasche und schien geistesabwesend.
    »Ja, aber davon abgesehen.«
    Rostow drehte sich um. »Kommen Sie zur Sache.«
    »Ich meine, wir sollten uns den Überbringer schnappen und ihn fragen, was er Dickstein geliefert hat.«
    Der Russe stand still und überlegte. »Ja«, sagte er nachdenklich.
    Hassan freute sich. »Wir müssen ihn ausfindig machen ...«
    »Das dürfte nicht schwer sein. Wenn wir den Nachtklub, den Flughafen, das Alfa-Hotel und das Jean-Monnet-Gebäude ein paar Tage lang beobachten ...«
    Hassan musterte Rostow, seine große hagere Gestalt, sein leidenschaftsloses, undurchdringliches Gesicht mit der hohen Stirn und dem kurzgeschnittenen ergrauendenHaar. Ich habe recht, triumphierte Hassan, und er muß es zugeben.
    »Sie haben recht«, sagte Rostow. »Das hätte ich nicht übersehen dürfen.«
    Hassan spürte das Gefühl des Stolzes heiß in sich aufsteigen und dachte: Vielleicht ist er doch nicht so ein Scheißkerl.

6
    O XFORD HATTE SICH nicht so sehr
     verändert wie die Menschen. Die Stadt hatte sich zwar gewandelt, wie erwartet: Sie war größer, die Autos und Läden waren zahlreicher und prunkhafter und die Straßen belebter. Aber das hervorstechende Merkmal war immer noch der cremefarbene Stein der College-Gebäude, durch deren Bögen man gelegentlich einen Blick auf den erstaunlich grünen Rasen eines viereckigen Hofes erhaschen konnte. Dickstein bemerkte auch das seltsam bleiche englische Licht, das einen solchen Kontrast zu dem metallischen Gleißen der israelischen Sonne bot. Natürlich war es nie anders gewesen, aber als Einheimischem war es ihm nicht aufgefallen.
    Die Studenten schienen jedoch einer völlig neuen Rasse anzugehören. Im Nahen Osten und in ganz Europa hatte Dickstein Männer gesehen, die sich das Haar über die Ohren wachsen ließen, mit orangefarbenen und hellroten Halstüchern, mit unten weit ausladenden Hosen und hochhackigen Schuhen. Er hatte zwar nicht erwartet, daß die Männer hier so angezogen sein würden wie 1948 – mit Tweedjacken und Cordhosen, Oxfordhemden und getupften Krawatten von Hall’s. Trotzdem war er auf dieses Bild nicht vorbereitet gewesen. Viele von ihnen gingenbarfuß oder trugen seltsame offene Sandalen ohne Socken. Männer und Frauen hatten Hosen an, deren Enge Dickstein vulgär erschien. Nachdem er mehrere Frauen beobachtet hatte, deren Brüste unter losen, farbenprächtigen Hemden hüpften, schloß er, daß Büstenhalter aus der Mode gekommen waren. Es gab eine Menge blauen Jeansstoff – nicht nur Hosen, sondern auch Hemden, Jakken, Röcke und sogar Mäntel. Und das Haar! Dies schokkierte ihn wirklich. Die Männer ließen es sich nicht nur über die Ohren, sondern manchmal bis halb über den Rücken wachsen. Er sah zwei Burschen mit Zöpfen. Andere, Männer und Frauen, ließen ihr Haar in einem Gewirr von Locken nach oben und zur Seite wachsen, so daß es aussah, als äugten sie durch ein Loch in einer Hecke. Da dies offenbar für einige nicht ausgefallen genug war, hatten sie sich zusätzlich mit Jesusbärten, mexikanischen Schnurrbärten oder baumelnden Koteletten geschmückt. Sie hätten vom Mars stammen können.
    Er ging voll Staunen durch das Stadtzentrum und hielt auf die Vororte zu. Es war zwanzig Jahre her, seit er diesen Weg gegangen war, aber er kannte sich noch aus. Kleinigkeiten aus seiner Studentenzeit fielen ihm ein: die Entdeckung von Louis Armstrongs verblüffendem Kornettspiel; die Art, wie er sich insgeheim seines Cockneyakzents geschämt hatte; die Frage, warum alle außer ihm sich so gern betranken; die Tatsache, daß er Bücher schneller ausgeliehen hatte, als er sie lesen konnte, so daß der Stoß auf dem Tisch in seinem Zimmer immer höher geworden war.
    Ob die Jahre ihn verändert hatten? Nicht sehr. Damals war er ein verängstigter Mann gewesen, der eine Festung suchte. Nun war Israel seine Festung, aber statt sich dort verstecken zu können, mußte er es verlassen und für seine Verteidigung kämpfen. Damals wie heute war er ein halbherziger Sozialist gewesen, der wußte, daß die Gesellschaft ungerecht war, der aber nicht sicher war, wie sie verbessertwerden könnte. Er war älter geworden und

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