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Dreihundert Brücken - Roman

Dreihundert Brücken - Roman

Titel: Dreihundert Brücken - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernardo Carvalho
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zusammengeschlagen und gedemütigt wurde, wie er auf den Knien lag und mühsam wieder aufstand, und nun will dieser Mann ihn am Boden sehen. Er kommt zu dem Schluss, dass es keinen Zweck hat, ihn wegen moralisch zweifelhaften Verhaltens oder wegen seines Privatlebens zu denunzieren. Jeder hat etwas zu verbergen. Was immer er sagen könnte, würde sich gegen ihn selbst wenden. Wenn er als Augenzeuge aussagen wollte, was er an diesem Abend gesehen hat, wie wollte er dann erklären, was er um diese Uhrzeit in der Umgebung der Lomonossowa-Straße ge macht hat? Etwa sagen, dass sein Sohn Mitglied einer Gang von Skinheads ist? Dimitri wird schweigen. Maxim hat ihn an dem Abend des Überfalls nicht gesehen und ahnt auch nicht, was der Vater unseligerweise mit angesehen hat. Zu Hause wird niemand verstehen, warum Dimitri degradiert wurde. Ungerechtigkeit, Intrige, Neid irgendeines Unfähigen. Eines von vielen, denn sie sind in dieser Welt in der Überzahl. Anna, die sich insgeheim mit Markow solidarisiert hatte, wird nun das Schlimmste von demjenigen denken, der ihrem Mann zu seiner Position verholfen hat, aber gar nichts zu tun hat mit dem anderen, der ihn um seinen Posten gebracht hat. In ihrer Unwissenheit wird sie alles miteinander vermischen. Und Dimitri wird ihr nicht die Augen öffnen.

6.
Zehn Tage später
    M axim taucht an einem Dienstagnachmittag wieder auf. Als er die Tür öffnet, schlägt Roman sich mit einer Aufgabe herum, deretwegen er in der Mathematikprüfung durchgefallen ist und deren Lösung in seinen Augen so idiotisch wie witzlos ist: Zwei Männer sollen einen Fluss mit fünf Kilo Pulver in einem Boot überqueren, das für die Überfahrt mit nur einem siebzig Kilo schweren Mann zehn Minuten braucht. Die beiden Männer wiegen jeder siebzig Kilo. Wie lange brauchen die beiden mitsamt dem Pulver, wenn die Überfahrt pro zusätzliche zehn Kilo um anderthalb Minuten länger dauert? Für Roman bestünde die beste und einfachste Lösung darin, den einen Mann zu ertränken, das Pulver wegzuwerfen und die Überfahrt in den üblichen zehn Minuten zu machen, ohne lange rechnen zu müssen. Maxim kommt wortlos herein. Roman sieht ihm hinterher, wie er schweigend durch das Wohnzimmer geht, ohne ihn anzusprechen. Dann steht er auf und folgt ihm zu seinem Zimmer. Maxim sagt nicht, wo er die letzten vierzehn Tage verbracht hat, und sein Bruder, der in der offenen Tür lehnt, fragt auch nicht. Während Roman zusieht, wie Maxim sich umzieht, beschließt er – um Maxim Schuldgefühle zu machen, aber auch aus Eifersucht, weil es ihn kränkt, dass die Mutter Maxim so viel Aufmerksamkeit schenkt –, ihm zu erzählen, dass er die Mutter in der letzten Woche dabei überrascht hat, wie sie weinte, und dass er glaube, sie habe seinetwegen geweint. Maxim weiß, dass die Mutter nicht seinetwegen weint, trotzdem interessiert es ihn, und zwar weit mehr, als Roman ahnen kann. Er stellt Fragen, will wissen, ob die Mutter etwas gesucht hat, ob jemand nach ihr gefragt hat, während er weg war.
    »Nein, niemand«, sagt Roman. Nach kurzem Überlegen korrigiert er sich: »Doch, ein Bauarbeiter war hier, wegen der Fenster.«
    »Wegen der Fenster?«
    »Ja.«
    »Wie sah er aus?«
    »Wer?«
    »Der Arbeiter.«
    Roman verzieht das Gesicht.
    »Ich glaube, der kam aus dem Kaukasus, seinem Akzent nach«, sagt er, dann geht er ins Wohnzimmer zurück. Die Fragerei interessiert ihn nicht.
    Maxim kommt hinterher.
    »Wieso glaubst du, dass sie meinetwegen geweint hat?«
    Roman verzieht wieder das Gesicht und gibt sich gleichgültig.
    »Sie ist nervös. Vater sagt, die Bauarbeiten deprimieren sie.«
    »War er nur einmal hier?«
    »Wer?«
    »Der Schwarz-Arsch.«
    Roman wundert sich über die Bezeichnung, er zögert.
    »Ja. Aber er wollte wiederkommen.«
    »Wozu?«
    »Um mit ihr zu sprechen.«
    »Und, ist er wiedergekommen?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Hat er nicht mit ihr gesprochen?«
    »Weiß ich nicht.« Roman antwortet unwillig, über sein Heft gebeugt.
    Maxim betrachtet schweigend seinen Bruder. Roman tut, als merkte er es nicht, und konzentriert sich weiter auf die unsinnigsten Aufgaben, die er trotzdem nicht zu lösen vermag: Ein Muschik hat fünf Milchkühe. Jede Kuh ist tausend Rubel wert und jede Flasche Milch fünfzig Rubel. Mit seinen fünf Kühen kann der Muschik jede Woche hundert Flaschen Milch produzieren und verkaufen. Wie lange kann er den monatlichen Gewinn über dem halten, was er bislang einnahm, wenn er zwei Kühe verkauft und

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