Dreihundert Brücken - Roman
den Gegenwert mit einer Verzinsung von zwei Prozent im Monat anlegt? Als Maxim in sein Zimmer zurückgeht, blickt Roman ihm aus dem Augenwinkel hinterher, reagiert aber nicht. Als Maxim jedoch, inzwischen umgezogen, erneut durch das Wohnzimmer in Richtung Wohnungstür geht, kann er sich nicht zurückhalten.
»Gehst du wieder weg?«
»Ich hab was zu erledigen.«
»Kommst du nicht zum Abendessen?«
»Vielleicht.«
»Sie wollen bestimmt wissen, wo du warst.«
»Pech für sie.«
7.
Eine Stunde später
M axim beobachtet von der Ecke aus die diversen Gruppen von Jugendlichen in der Malajka-Sadowaja-Straße. Zwei Jungen fahren auf dem Skateboard an ihm vorbei, springen über den Kantstein und fahren auf dem Asphalt weiter. Aus der Ferne versucht er, unter den jungen Leuten, die in der kleinen Fußgängerstraße rauchen und Musik hören, Tatjana auszumachen. Ein Jugendlicher steht auf und bettelt eine alte Frau an, die mit Supermarkttüten vorbeikommt. Und als sie etwas brummelt und sich weigert, ihm Geld zu geben, geht er hinter ihr her und bombardiert sie mit Beleidigungen, während seine um eine Bank herumstehenden Kumpane lachen. Tatjana ist eine von ihnen. Sie ist die Einzige, die nicht lacht. Ihr Blick ist vage und verloren. Sie sitzt auf der Bank, zündet sich eine Zigarette an. Sie kann über nichts lachen. Plötzlich bemerkt sie Maxim an der Ecke. Ihre Blicke begegnen sich. Sie dreht den Kopf weg und springt auf. Sagt etwas zu einer Freundin, die neben ihr gesessen hat, worauf diese den Hals reckt, um ihn zu sehen. Tatjana geht in der Maxim entgegengesetzten Richtung davon. Er verliert sie zwischen den Passanten aus den Augen. Doch bevor sie um die Ecke biegt, dreht sie sich um, Maxim erblickt sie erneut und läuft hinterher. Vor einem Fast-Food-Laden stößt er mit einer Frau zusammen. Von der Ecke aus sieht er noch Tatjanas rotes Sweatshirt zwischen den Passanten, die von der Arbeit kommen, auf den Bus warten oder einkaufen, bevor sie nach Hause fahren. Sie dreht sich um, und ihre Blicke begegnen sich abermals. In ihren Augen steht Angst. Sie läuft weg. Maxim holt sie nach ein paar Metern ein, packt sie am Arm und hält sie fest. Sie reißt sich mit einem Ruck los. Die Passanten weichen ihnen aus.
»Wovor läufst du weg?«
»Ich laufe nicht weg«, sagt sie, blickt auf die andere Seite der Straße und geht weiter.
»Ich habe bei deiner Freundin angerufen. Man hat mir gesagt, du wohnst da nicht.«
»Ich habe doch gesagt, du sollst da nicht anrufen.« Sie zieht zum letzten Mal an der Zigarette und wirft sie dann weg.
»Wohnst du nicht da?«
Sie antwortet nicht.
»Und?«
»Was, und?«
»Warst du beim Arzt?«
»Welchem Arzt?«
»Welchem Arzt?! Ich habe dir vor einem Monat das Geld gegeben. Du willst mich wohl auf den Arm nehmen.«
»Ich habe es eilig.«
»Wieso? Wo willst du hin?«
Tatjana überlegt, bevor sie antwortet: »Zu meiner Mutter.«
»Ich wusste nicht, dass du zu ihr zurückgegangen bist.«
Tatjana antwortet nicht. Sie senkt den Blick.
»Du bist eine verdammte verantwortungslose Lügnerin.«
»Verantwortungslos?« Sie lacht.
»Hast du noch immer nicht kapiert? Muss etwa ich es dir erklären?«
Sie holt tief Luft: »Wie wäre es, wenn du dich um deine Probleme kümmerst und meine Probleme mir überlässt?«
Er baut sich vor ihr auf und zwingt sie, stehen zu bleiben.
»Deine Probleme? Du hast doch gesagt, du könntest die Krankenkasse nicht einschalten, wegen der ganzen Bürokratie, weil du wieder zu deiner Mutter ziehen müsstest und sie es nicht wissen sollte. Du hast mich dazu gebracht, meiner Mutter das Geld zu klauen, weil du in einer Klinik jemanden kennst. Hast du das vergessen? Was hast du mit dem Geld gemacht?«
Tatjana antwortet nicht. Sie lächelt kurz – vielleicht aus Wut, vielleicht aber auch aus Scham. Dann senkt sie den Blick.
»Was hast du davon gekauft?«
Tatjana sieht ihn nicht an. Sie hält den Blick gesenkt. Sie hat die Arme ganz merkwürdig verschränkt, die Hände auf der Brust verdreht. Sie will weg, weiß aber nicht, wie. Maxim hält sie an den Armen fest. Sie versucht sich zu wehren. Blickt über seine Schulter zur anderen Straßenseite.
»Was ist? Hast du dir von dem Geld etwa wieder dieses Scheißzeug besorgt?«
Er drückt sie an die gelbe Hauswand, raus aus dem Strom der Fußgänger, die die Straße hinauf- und hinuntergehen. Er zieht an ihrem Arm, schiebt einen Ärmel des roten Sweatshirts hoch und sieht die Blutergüsse.
»Du Idiot! Glaubst
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