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Dreihundert Brücken - Roman

Dreihundert Brücken - Roman

Titel: Dreihundert Brücken - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernardo Carvalho
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den Arm und blickt auf die Uhr. »Vermutlich ja.«
    Anna ist ungehalten. Sie sieht ihren Mann verächtlich an.
    »Du hast mich falsch verstanden. Ich wollte wissen, ob er weiß, dass du es warst.«
    »Hätte ich es nicht getan, dann wär’s ein anderer gewesen.«
    Roman und Dimitri gehen früh aus dem Haus, bevor Anna aufsteht. Zwei Stunden später ist sie allein in der Küche und räumt das Frühstücksgeschirr weg, das ihr Mann und ihr Sohn auf dem Abtropfgestell zurückgelassen haben (wenigstens spülen sie seit Beginn der Bauarbeiten ihr Geschirr ab, bevor sie gehen). Sie hat schon die Hand auf der Klinke der Wohnungstür, als ihr das Geschirr einfällt, worauf sie die Tasche auf den Tisch legt, den Schüssel in der Tür stecken lässt und zurückgeht, um das Geschirr in den Schrank zu stellen. Alles, was nicht weggeräumt wird, läuft Gefahr, am Ende des Tages eingestaubt zu sein, selbst bei geschlossenen Fenstern. In diesem Augenblick hört sie die Klingel. Und in der Eile vergisst sie, dass sie seit drei Wochen niemandem mehr die Tür geöffnet hat.
    »Ich komme gleich!«
    Sie hat keine Ahnung, wer das um diese Zeit sein kann. Bestimmt jemand vom Bau. Und tatsächlich, als sie die Tür öffnet, steht ein Mann in einem verdreckten Overall vor ihr. Er ist etwas größer als sie, sein dunkles Haar ist zerzaust. Für einen Moment herrscht Schweigen. Bei ihr ist es eher eine kurze Geistesabwesenheit. Sekundenlang schwirren ihr tausend Sachen durch den Kopf. Sie holt Luft.
    »Ja, bitte?«
    Der Mann sagt noch immer nichts. Genau genommen ist er noch ein Junge. Sie weiß, wer er ist.
    »Ich war schon gestern Nachmittag hier. Hat man Ihnen nichts ausgerichtet?«
    Jetzt kann sie ihre Nervosität nicht mehr kaschieren. Sie weicht seinem Blick aus.
    »Nein, ich wollte gerade weggehen. Worum geht es?«
    »Um die Fenster.«
    Überrascht und zugleich verunsichert, blickt sie ihn noch einmal kurz an. Sieht seinen Bart, die Augenbrauen, die schmale Nase. Dann wendet sie den Blick erneut ab.
    »Die Fenster?«
    »Das hat Ihr Sohn gesagt.«
    »Mein Sohn?«
    »Ich solle wegen der Fenster wiederkommen.«
    »Ach so!« Sie will lachen, aber es bleibt ihr in der Kehle stecken.
    »Ich habe gezögert, ob ich herkommen soll. Über einen Monat. Ich …«
    Aus einem Überlebensinstinkt heraus, der stärker ist als alle anderen Gefühle, unterbricht sie ihn.
    »Das müssen Sie mir nicht sagen. Ich weiß, warum Sie gekommen sind.«
    »Ich arbeite bei den Instandsetzungsarbeiten der Zwölf Kollegien, dem historischen Gebäude der Universität, in …«
    »Ich weiß, wo das ist. Bitte gehen Sie. Und kommen Sie nie wieder, ja? Ich habe schon für alles gezahlt, was ich zahlen musste.«
    Ruslans Miene hellt sich plötzlich auf, als hätte er endlich den Knoten eines Missverständnisses gelöst. Er steckt die Hände in die Taschen und senkt schüchtern den Blick. Als er wieder aufblickt, breitet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er schaut der Mutter in die Augen und sagt: »Darum geht es nicht. In Wirklichkeit handelt es sich nicht um die Fenster. Denn …«
    »Ich habe verstanden. Sie müssen jetzt gehen.«
    Sie kann ihm nicht mehr in die Augen sehen. Sie macht Anstalten, die Tür zu schließen.
    »Bitte!«
    Doch sie schafft es nicht gleich. Der hilflose Blick des Jungen hindert sie daran. Sie zögert. Ganz langsam schiebt sie die Tür immer weiter zu, bis sein Gesicht verdeckt ist und das Schloss zuschnappt. Er ist reglos stehen geblieben. Sie zittert am ganzen Leib. Vorsichtig, möglichst geräuschlos, dreht sie den Schlüssel um und lehnt sich an die Tür. Sie presst sich eine Hand auf den Mund, um nicht zu weinen. Wenn sie ihren Tränen freien Lauf lässt, wird sie untergehen.

5.
Zwei Abende später
    M axim weiß nicht, dass ihm jemand folgt. Er geht rasch die Sadowaja-Straße in Richtung Sennaja-Platz hinunter. Bevor er den Platz erreicht, betritt er eine dunkle Kneipe, in der sich eine Gruppe Arbeiter versammelt hat. An der Theke schwatzen zwei Frauen. Sie sind stark geschminkt und tragen Miniröcke, darüber knielange Regenmäntel, ob wohl es nicht regnet. Drei junge Männer in Maxims Alter, vielleicht auch ein wenig älter, mit kahl geschorenem Kopf und abgewetzten Blousons, trinken hinten in der Kneipe Bier. Maxim geht zu ihnen und begrüßt sie. Dann bestellt er bei dem schmierigen Dicken hinter der Theke ein Bier. Der größte der jungen Männer nimmt ein Blatt Papier aus der Tasche und erklärt den anderen etwas. Maxim

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