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Dreihundert Brücken - Roman

Dreihundert Brücken - Roman

Titel: Dreihundert Brücken - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernardo Carvalho
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Küche Pudding, dabei fragt er, ob die anderen auch Nachtisch wollen und ob der Vater ihn zum Sport mitnehmen kann. Er hat um zwei Uhr Training.
    »Heute geht es nicht. Ich habe draußen zu tun. Ich fahre nicht ins Büro zurück«, sagt Dimitri, während er seinen Teller in der Spüle abstellt.
    Der Satz bringt Maxim, der gerade wieder den Blick gesenkt hat, aus der Fassung, er sieht den Vater überrascht an. Der Streit gestern hat also etwas bewirkt. Dimitri hat Verdacht geschöpft. Er wird ihr folgen. Doch nun ist Maxim derjenige, der nicht genau weiß, was er empfindet. Als die Mutter wieder durch das Wohnzimmer geht und auf dem Weg zur Tür ihre Handtasche ordnet, möchte er sie am liebsten festhalten und warnen, auch wenn dies noch so widersprüchlich sein mag. Sie tut ihm leid. Und er liebt sie. Er weiß, was sie erwartet. Ihm ist nicht wohl in seiner Haut, weil er sie denunziert hat. Doch hält dieses Gefühl nur einen kurzen Moment an. Gleich darauf empfindet er wieder tiefen Hass auf die Mutter. Es frisst ihn innerlich auf. Sie muss dafür bestraft werden, dass sie die Familie betrogen hat.
    Kaum ist sie draußen und Vater und Söhne hören das Quietschen der Faltgittertür des Fahrstuhls, steht Dimitri auf und will im ersten Moment zum Fenster gehen, um ihr auf dem Trottoir hinterherzusehen. Doch dann fällt ihm ein, dass die Fenster von Schutzplanen verdeckt sind. Da gibt es nichts zu sehen. Er eilt ins Schlafzimmer, nimmt Schlüssel und Brieftasche und verlässt türenknallend die Wohnung. Roman sieht seinen Bruder an. Aber Maxim sagt nichts.
    Anna wartet keine zehn Minuten an der Bushaltestelle. Sie glaubt, ihre Sonnenbrille schütze sie. Sie klettert in den Bus und fährt den Newski-Prospekt hinauf, steigt aber nicht dort aus, wo sie angeblich Besorgungen machen wollte. Sie fährt weiter bis zur Wassiljewski-Insel. Der Bus ist brechend voll, die Leute drängen sowohl vorn als auch hinten durch die Tür. Da Anna vorn eingestiegen ist und am nächsten zum Fahrer steht, übergibt sie ihm das Geld, das von hinten aus dem Minibus von Hand zu Hand durchgereicht wird. Sie ahnt nicht, dass eine dieser Hände Dimitri gehört, der hinten eingestiegen ist. Sie nimmt das Geld entgegen, legt es auf die Filzkonsole neben dem Fahrer und reicht das Wechselgeld weiter, das der Fahrer den Leuten zurückgibt. Das Wechselgeld geht von Hand zu Hand, bis es bei Dimitri ankommt. Der Bus fährt an der Stelle vorbei, wo sie vor zwanzig Jahren Chakhban zum ersten Mal gesehen und sich in ihn verliebt hat, er überquert die Newa und setzt sie vor dem Zoologischen Museum ab. Sie geht den Quai der Universität entlang bis zu einer ebenfalls hinter Gerüsten und blauen Schutzplanen verdeckten Fassade, an der gearbeitet wird. Um sich zu vergewissern, dass sie hier richtig ist, fragt sie einen Mann, der das Trottoir entlangkommt, dann geht sie in das Gebäude hinein. Auf einer kleinen Steintreppe vor einer Tür am anderen Ende des Innenhofs haben sich vier Arbeiter niedergelassen, sie rauchen und unterhalten sich. Anna geht zu den beiden Arbeitern, die auf dem Betonrand der Treppe sitzen, und fragt sie. Die Arbeiter weisen nach oben ins Gebäude. Sie blickt hinauf zum dritten Stock. Der Himmel ist wolkenlos wie seit Wochen nicht mehr. Sie bedankt sich und geht zurück zu dem Torweg, durch den sie gekommen ist. Sie steigt die Treppen in den dritten Stock hinauf, aus dem ihr der ohrenbetäubende Lärm einer Kreissäge entgegendröhnt. Als sie den großen Saal betritt, wird der Lärm noch lauter. Hier im dritten Stock ist kein Wort mehr möglich. Nichts mehr zu verstehen oder zu erkennen. Der Raum ist von dichtem weißem Staub erfüllt, so dass sie keinen Meter weit sehen kann. Ein Mann im weißen Overall mit einem weißen Plastikschutz über Nase und Mund, von Kopf bis Fuß mit Staub bedeckt, taucht mit einer Zange in der Hand aus der Staubwolke auf. Anna formt die Hände zu einer Muschel rund um den Mund, damit er sie versteht, und stellt eine Frage. Der Arbeiter weist in die Staubwolke. Sie verschwindet darin. Während sie weiter in den Raum hin eingeht, erahnt sie Schatten, die erst eine konkrete Form annehmen, als sie sich wenige Schritte von ihnen entfernt befindet. Und so tastet sie sich langsam zu einem Arbeiter vor, der mit dem Rücken zu ihr auf dem Boden hockt. Sie spricht ihn mit seinem Namen an. Er dreht sich um, sieht sie überrascht an, steht auf. Ein strahlendes, kindliches Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Er

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