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Dreihundert Brücken - Roman

Dreihundert Brücken - Roman

Titel: Dreihundert Brücken - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernardo Carvalho
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wenn keiner in der Nähe ist, dann schnell loszuspurten und, wenn er am Eingang vorbeikommt, so zu tun, als wollte er weiterlaufen, dann aber mit einer scharfen Wende in das Gebäude zu stürzen. Doch da um diese Zeit weder Fußgänger noch Autos unterwegs sind, braucht er nur schnell die Straße zu überqueren und das Haus zu betreten. Und das tut er. Er läuft, immer drei Stufen auf einmal, die Treppe hinauf. Stürmt zitternd und keuchend in den Raum und drückt die Tür hinter sich ins Schloss.
    Marina Bondarewa hebt den Kopf. Es ist die dicke rotblonde Frau, die mit den beiden Mappen unterm Arm die Haustür geöffnet hat. Seit dem Tod ihres jüngeren Sohnes lebt sie bei Freunden. Keinen einzigen Tag mehr könnte sie in der Wohnung in der Petrogradskaja-Storona-Straße verbringen, in der Pawel aufgewachsen ist und wo sie ihn tot aufgefunden hat. Seit seinem Tod geht sie früher ins Büro, unter dem Vorwand, Liegengebliebenes wegzuarbeiten, und deshalb ist niemand da, als Andrej hereinkommt und wie ein Verbrecher auf der Flucht die Tür hinter sich schließt. Einen Moment lang sehen die beiden sich stumm an, der Junge und die dicke rotblonde Frau, deren Sohn sich vor einem knappen Jahr das Leben genommen hat.
    »Sie sind hinter mir her.«
    Marina reißt die Augen auf. Als hätte sie ein Gespenst gesehen. Sie bringt kein Wort heraus. »Sie sind hinter mir her«, das war der letzte Satz, den Pawel am Tag vor seinem Tod zu ihr sagte, bevor er den Hörer auflegte.
    »Wie bitte?«, fragt sie ungläubig, um sich zu vergewissern, dass sie richtig gehört hat. Dieselbe Frage hat sie ihrem Sohn gestellt, empört über die Unnachgiebigkeit des Heereskommandos nach all dem, was ihm passiert war.
    Andrej merkt, dass die Frau verwirrt ist. Er überlegt, bevor er es wiederholt. Überlegt, einen Rückzieher zu machen. Aber er kann nicht mehr zurück. Er denkt daran, dass die Vorgesetzten in der Kaserne sich immer über die Soldatenmütter lustig machten und sie als hysterische Mütter abtaten. Vielleicht sind sie wirklich verrückt. Aber er hat keine Wahl.
    »Ich habe mich geweigert, in den Krieg zu gehen, weil ich der einzige Sohn meiner Mutter bin. Ich bin der Ernährer der Familie. Ich kann nicht in den Krieg gehen. Seitdem werde ich jeden Tag geprügelt. Ich habe Ihnen so oft geschrieben. Haben Sie meine Briefe nicht bekommen?«
    Er spricht von den Briefen, die er geschrieben, aber zerrissen hat, anstatt sie abzuschicken.
    »Wie heißen Sie?«, fragt Marina.
    »Ich konnte die Briefe nicht unterschreiben. Sie waren anonym. Haben Sie sie nicht erhalten? Ich brauche Hilfe«, sagt er und schließt die Augen. »Darf ich mich setzen?«
    Sie betrachtet den keuchenden Jungen, der sich kaum auf den Beinen halten kann, und als Einziges kommt ihr in den Sinn: »Du brauchst Schlaf, mein Junge.«

13.
Siebzehn Stunden später und
sieben Zeitzonen voraus in Wladiwostok
    O lga läuft zum Telefon. Die zehnjährige Jewgenia mit dem Hörer in der Hand sagt, es sei Petersburg. Olga kennt niemanden in St. Petersburg außer ihrem Sohn, von dem sie seit fast einem Jahr nichts gehört hat. Bevor sie mit Herzklopfen und unsicherem Lächeln in den Hörer spricht, fragt sie ihre Tochter, ob es Andrej ist.
    »Nein, eine Frau.«
    Jewgenia beobachtet die Mutter, die fast eine Minute lang schweigt, nachdem sie sich am Telefon gemeldet hat. Das Mädchen versucht sich ausmalen, was die Frau am anderen Ende sagt. Auch versucht sie auszurechnen, wie spät es in St. Petersburg ist. Wenn es in Wladiwostok kurz vor sieben Uhr morgens ist, dann ist es da noch gestern. Noch mitten in der Nacht. Die Mutter ist leichenblass. Sie setzt sich aufs Sofa, den Hörer noch immer fest am Ohr. Offenbar hat die Frau am anderen Ende die Initiative ergriffen und sagt alles, was Olga wissen muss, bevor sie fragen kann: Ihrem Sohn geht es gut, sie braucht sich keine Sorgen zu machen, sie treffen alle Vorkehrungen. Ab einem bestimmten Moment jedoch stellt die Frau sehr direkte Fragen (zumal für eine Fremde), auf die Olga, so gut sie kann, mit Ja oder Nein antwortet. Die Anruferin hat sie überrumpelt, sie versucht Zeit zu gewinnen, bevor sie sich festlegt.
    »Da muss ich nachsehen. Es ist schon so lange her. Ich weiß nicht, wo ich die Papiere hingelegt habe.«
    Jewgenia versucht sich anhand der Antworten der Mutter vorzustellen, was die Frau fragt. Das ist schwierig, weil Olga aus Gewohnheit und Trägheit lügt. Was sie sagt, ist nicht das, was sie sagen will. Vor einem guten

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