Dreikönigsmord (German Edition)
jemand wollte ihn berauben, und deshalb wurde er umgebracht?« Aller gutmütige Spott war nun aus Lutz Jägers Stimme verschwunden. Er wirkte sehr konzentriert, und Jo musste zugeben, dass er – wenn ihm der Sinn danach stand – ein guter Kriminalbeamter war.
Sie kletterte auf den Schlitten und sann einige Momente vor sich hin, ehe sie mit den Zügeln schnalzte und der Braune sich schwerfällig in Bewegung setzte. »Warum hätte sich der Mörder dann aber mit ihm auf dem Klostergelände treffen sollen? Er hätte ihm genauso gut irgendwo vor den Mauern auflauern können. Und die Schwestern haben nichts davon gesagt, dass der Heuboden durchsucht wurde.«
»Der Mörder hat aber nach etwas gesucht. Andernfalls wäre er nicht auf das Licht angewiesen gewesen, das aus den Fenstern der Apsis fiel. Das heißt, falls die Theorie der Äbtissin richtig ist und der Mord tatsächlich während einer der beiden nächtlichen Gebetszeiten begangen wurde.«
»Setzen wir einmal voraus, diese Theorie stimmt … Benötigt man unbedingt Licht, um einen Beutel voller Münzen zu finden? Ich würde eher sagen, nein …«
»Dieser Meinung bin ich auch.« Lutz Jäger nickte. »Außerdem verbreitet der Schnee eine gewisse Helligkeit. Und irgendwie sagt mir mein Gefühl, dass es bei diesem Mord nicht um Geld ging. Auch wenn wir uns sicherheitshalber trotzdem einmal auf dem Heuboden umsehen sollten.«
»Mein Gefühl sagt mir das eigentlich auch …« Jo brach ab. Abermals fragte sie sich, inwieweit sie ihrer Intuition überhaupt trauen konnte – noch dazu in dieser für sie so fremden Zeit. Wieder fror sie, trotz ihres aus einem dicken Wollstoff gefertigten Mantels und der pelzgefütterten Decke, die über ihren Knien lag. Im Westen hatte der Himmel eine abweisende, zitronengelbe Farbe.
»Was haben Sie heute Abend vor?« Lutz Jäger riss Jo aus ihren Gedanken.
»Wie bitte?«, fragte sie verblüfft.
»Keine Sorge, ich habe nicht vor, Sie zu einem Rendezvous einzuladen.« Er winkte ab. »Aber wenn Sie noch keine anderweitigen Pläne haben – oder wegen etwaiger Haushaltspflichten verhindert sein sollten –, könnten wir uns einmal in der Kupfergasse umhören. Ich schlage vor, ich übernehme die Prostituierten und Sie die Lustknaben.«
»Eine wirklich kluge Aufteilung«, bemerkte Jo sarkastisch.
»Na ja, Sie können natürlich auch zu den Prostituierten gehen, und ich übernehme die Lustknaben.« Lutz Jäger zuckte mit den Schultern. »Ich ginge bei den Lustknaben ja noch als Freier durch. Aber die Huren würden Sie wahrscheinlich als unwillkommene Konkurrenz betrachten, was unserem Vorhaben nun wirklich schaden würde.«
»Geben Sie es ruhig zu, Sie wollen einfach gerne ein Bordell aufsuchen.« Jo hob spöttisch die Augenbrauen.
Lutz Jäger lächelte. »Aber ja, natürlich, ein mittelalterliches hat ganz bestimmt einen besonderen Reiz.«
Wieder zu Hause war es Jo zu viel, die Mahlzeit zusammen mit den Bediensteten in der Küche einzunehmen. Deshalb bat sie Katrein, ihr eine Schale mit Suppe und etwas Brot auf ihr Zimmer zu bringen. Nachdem sie die Speise gegessen hatte, holte sie das Wachstäfelchen aus ihrem Bündel und trug die Ermittlungsergebnisse des vergangenen Tages darauf ein. Dabei versuchte sie, nicht an den blinkenden Computerbildschirm in ihrem Büro zu denken.
»Herrin!« Katrein, die sich mit einigen Strümpfen, die gestopft werden mussten, neben sie ans Feuer gesetzt hatte, sprach sie unvermittelt an: »Verfasst Ihr eine Einkaufsliste?«
»Ja, so ungefähr …« Jo erinnerte sich wieder an die Begegnung mit Mattis, dem Steinmetz. Zögernd fragte sie: »Katrein, wie war eigentlich meine Ehe so …? Du weißt, mein Gedächtnis lässt mich immer noch oft im Stich.«
»Gott sei gedankt, Ihr redet wieder normal«, bemerkte Katrein.
»Wie meinst du das?«, fragte Jo überrascht.
»Ihr sprecht mich nicht mehr mit diesem seltsamen ›Sie‹ an.«
»Ähm, wirklich? Ach, das ist ja gut … Anscheinend habe ich mich assimiliert … ich meine, ich bin genesen. Abgesehen von meinem Gedächtnis«, haspelte Jo. »Aber um auf meine Ehe zurückzukommen …«
»Oh, Ihr und Meister Gerhardt habt eine sehr zufriedene Ehe geführt.« Katrein sah sie überrascht an.
»Zufrieden …«
»Ja, Meister Gerhardt hat Euch geschätzt und respektiert, und Euer Rat in geschäftlichen Dingen war ihm sehr wichtig. Und Ihr habt Euren Gatten auch sehr geachtet.«
Das hörte sich ja alles sehr vernünftig an. »Ich meine … Gerhardt war doch
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