Dreikönigsmord (German Edition)
Euch Beine, Ihr Pack aus der Stadt. Ihr meint wohl, Ihr könnt mit uns umspringen, wie es Euch passt?« Er zitterte vor Wut.
»Kommen Sie!« Jo fasste ihren Kollegen am Arm und wollte ihn mit sich wegziehen. Doch der Braunhaarige verstellte ihnen den Weg. Ehe Jo reagieren konnte, betatschte er ihre Brüste. »Schöne Titten hat sie ja, deine Metze!« Die anderen drei lachten.
»He Freundchen, lass das!« Lutz Jäger packte den jungen Mann am Kragen seines Mantels und schleuderte ihn in den Schnee.
»Ich kann selbst auf mich aufpassen. Jetzt kommen Sie endlich!«, schrie Jo. »Sonst eskaliert die Situation noch völlig.«
»Zu spät!« Lutz Jäger schüttelte den Kopf und zog schnell sein Messer aus dem Gürtel. »Mit Deeskalation kommen Sie hier nicht mehr weiter.« Die drei Freunde des Braunhaarigen hatten sich drohend vor ihnen aufgebaut. Von der Wiese her rückten die anderen Zigeuner heran. Allen voran eine magere, alte Frau.
Verdammt, dachte Jo. Kein Handy … Keine Kollegen, die wir um Hilfe rufen können … Noch nicht einmal eine Pistole, um daraus einen Warnschuss abzugeben.
»Das werdet Ihr mir büßen!« Der Braunhaarige hatte sich wieder aufgerappelt. Blut troff aus einer Wunde an seinem Kinn, wo er gegen einen Stein im Schnee gefallen war. Auch er zog jetzt ein Messer hervor.
»Das glaube ich nicht«, erklärte Lutz Jäger gelassen, ohne sein Messer zu senken. Jo begriff: Diese Situation machte ihm auch noch Spaß!
»Sie müssen hier nicht den John Wayne geben …«, zischte sie ihm zu, nur um abrupt zu verstummen. Das fahrende Volk hatte mittlerweile einen weiten Halbkreis um sie gebildet: zehn Männer, noch einmal etwa ebenso viele Frauen und ein Schwarm Kinder. Die verhutzelte Alte, die Jo eben schon aufgefallen war, betrachtete sie und Lutz Jäger interessiert aus bernsteinfarbenen Augen. Ihr Blick war ungefähr genauso mitleidsvoll wie der eines Fleischers, der sich gleich daranmachen würde, ein Tier abzuschlachten.
Der Braunhaarige bewegte sich geschmeidig auf Lutz Jäger zu, wobei er das Messer provozierend von einer Hand in die andere warf. Wie sollten sie nur aus dieser Lage mit einigermaßen heiler Haut herauskommen? Jo machte sich bereit, den Angreifer mit einem Aikido-Tritt außer Gefecht zu setzen, auch wenn ihnen dies nur einen minimalen Aufschub verschaffen würde, als jemand mit krächzender Stimme rief: »Luis, lass den Unsinn! Geh wieder zurück ans Feuer.«
Zu Jos Erstaunen zuckte der Braunhaarige zusammen wie ein gescholtener Schuljunge. Er schob hastig das Messer in seinen Gürtel und trollte sich. Nun stand die Alte dicht vor Jo, die begriff, dass die krächzende Stimme der Alten gehörte und sie den Befehl ausgestoßen hatte. Aus ihrem zahnlosen Mund roch es nach Zwiebeln und Knoblauch. Ihre bernsteinfarbenen Augen – das sah Jo jetzt – wirkten erstaunlich jung. Wie die der Äbtissin. Die Alte fasste blitzschnell nach Jos Kopf und zog ihn zu sich herab. Während sie sie prüfend musterte, fühlte Jo sich seltsam träge. Es wäre ihr schwergefallen, sich zur Wehr zu setzen, selbst wenn sie es gewollt hätte.
Nun ließ die Alte sie wieder los und wandte sich zu ihrer Sippe um. »Ihr verschwindet auch. Und Ihr«, sie sah Jo und Lutz Jäger an, »kommt mit mir.«
Die Alte geleitete sie zu einem der Planwagen. Als Jo sich durch die Öffnung in der Stoffbespannung duckte, schlug ihr ein intensiver Kräuterduft entgegen. In einem rußgeschwärzten Metallbecken glommen Holzstücke und etwas Faseriges, das sie als Torf zu identifizieren glaubte. In der Glut stand ein Dreifuß mit einem Tonkrug darauf, in dem irgendeine Flüssigkeit vor sich hinköchelte. In einem Winkel des Wagens hingen getrocknete Kräuterbüschel von einer der gebogenen Weidenruten herab, die die Plane trugen. Ein niedriges, aus rohen Brettern und Steinen gebautes Regal beherbergte angeschlagene Tonschalen und zerbeulte Töpfe.
»Setzt Euch.« Die Alte wies auf einige Strohsäcke, über die fadenscheinige Decken gebreitet waren.
Zögernd kam Jo der Aufforderung nach. Ihr grauste bei der Vorstellung, dass sie sich möglicherweise auch noch Wanzen und Flöhe einhandeln könnte.
Die Alte beobachtete sie. »Ihr kommt also aus einer anderen Zeit«, bemerkte sie gelassen.
»Woher wisst Ihr das?«, fragte Jo verdutzt, während sie versuchte, nicht überall an ihrem Körper plötzlich ein Piksen und Jucken zu spüren.
»Zuerst habe ich es einfach nur gespürt. Und dann habe ich in Euren Augen den Spiegel
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