Dreikönigsmord (German Edition)
unter den Straftatbestand der Blasphemie?
»Wenn du das Türchen nicht aufbekommst, suche ich mir etwas, auf das ich steigen kann.«
»Nein, ich hab’s.« Jo seufzte erleichtert.
»Und?«
Jo ruckte an der Laterne. Dann tastete sie das Innere des Hohlraums ab. »In der Statue befindet sich ein Glasgefäß, das in ein Stück Samt eingewickelt ist. So, jetzt habe ich den Samt entfernt … In dem Glas steckt etwas Weißes. Sieht wie ein kleines Knochenstück aus. Außerdem gibt es einen Zettel. Darauf steht … Gertrudis«, buchstabierte sie mühsam die verschnörkelten Lettern. »Außerdem …« Jo ließ den feinen Dietrich in ihr Bündel gleiten und näherte den Lesestein dem goldenen Verschluss des kleinen Gefäßes. Oh, diese verwünschte Blendlampe … Da waren ja sogar noch Energiesparbirnen besser …
Sie kniff ihre Augen zusammen. »Auch an dem Verschluss des Glasgefäßes befinden sich Kratzer. Jemand muss es ebenfalls gewaltsam geöffnet haben. Wer weiß, was der Inhalt des Glasgefäßes ist. Die richtige Reliquie wird es aber bestimmt nicht sein.«
»Nein, das ist in der Tat sehr unwahrscheinlich.«
»Ach, verdammt«, fuhr Jo frustriert auf. »Mit unseren Technologien ließe sich das innerhalb kürzester Zeit klären. Aber wir haben einfach überhaupt keine Chance herauszufinden, ob das hier ein menschlicher Knochen ist oder der eines Pferdes. Oder der eines Schweines. Oder was weiß ich …«
»Schhh …«, zischte Lutz.
»Was ist denn?«
»Still!«
Nun hörte auch Jo, dass sich jemand am Hauptportal zu schaffen machte. Sie klappte das Türchen zu. Dann verlor sie endgültig das Gleichgewicht und fiel unsanft auf die Steinfliesen.
»Au …«
»Die Lampe!«
O Gott, die Lampe baumelte immer noch am Lettner und sandte ihren dünnen Strahl auf die Rückseite der Statue. Lutz zerrte Jo auf die Füße, legte ihr die Arme um die Hüften und hielt sie hoch.
»Mach doch erst mal die Tür der Lampe zu!«, presste er hervor.
»Ich versuche es ja …« Hektisch und mit zitternden Fingern zog Jo an dem heißen Metall. Das Licht erlosch. Gerade rechtzeitig, denn nun ertönte ein Knarren. Einer der Flügel des Portals musste geöffnet worden sein. Wo war nur der Bügel der Lampe? Schritte hallten durch das Kirchenschiff, und das Licht einer anderen Laterne geisterte über den Boden. Endlich fühlte Jo den Griff der Lampe in ihrer Hand und konnte ihn über die Verzierung des Lettners zerren.
»Lass mich runter«, raunte sie. Hastig wichen sie und Lutz in die Schatten des Seitenschiffs zurück. Der Schein der Laterne kam näher, schwenkte dann in die entgegengesetzte Richtung. Zwei Männer bewegten sich durch das andere Seitenschiff. Ein Schlüssel klirrte. Eine Tür wurde geöffnet. Das Licht der Lampe flackerte gegen die Decke, wanderte wieder gen Boden. Für einen Moment, als die beiden Männer durch die Türöffnung traten, erfasste sie der Schein. Jo packte Lutz am Arm, während dieser einen leisen Fluch ausstieß. Bei den beiden Männern handelte es sich um Pater Kolonat und Jörg Schreiber.
Wieder klirrte Metall. Die Tür wurde von innen verschlossen. Jo und Lutz hasteten durch das Querschiff.
»Und?«, fragte Jo ungeduldig, als ihr Kollege gleich darauf sein Ohr an das Holz presste.
Lutz schüttelte den Kopf. »Ich kann überhaupt nichts hören. Lass uns lieber verschwinden.«
Am nächsten Tag gegen Mittag machte Jo sich wieder einmal auf den Weg zum Marktstand der Weberei. Am Arm trug sie einen großen Korb mit Umschlagtüchern, die die Mägde eben noch umsäumt hatten. Es war wärmer geworden, fast herrschte Tauwetter. Am Himmel hing eine dicke graue Wolkendecke. Jo schnüffelte. Die Luft roch abgestanden, nach Unrat und dem Rauch der vielen Holzfeuer. Smog gab es also auch schon im Mittelalter … Sie schwitzte in ihrem Wollmantel und fühlte sich völlig übermüdet, denn sie war erst gegen Morgen ins Bett gekommen. Lutz und sie hatten in der vergangenen Nacht noch lange am Feuer in der Grünen Traube gesessen und darüber gesprochen, wie das, was sie in der Gertrudiskirche herausgefunden hatten, nun zu bewerten sei.
Was sie beide nicht recht verstanden: Warum hatte sich jemand – Jörg Schreiber? – die Mühe gemacht, die Reliquie der heiligen Gertrudis zu stehlen? Warum hatte der Dieb nicht einfach irgendeinen Knochensplitter genommen und behauptet, dies sei die echte Reliquie? Schließlich, das hatten Untersuchungen im 20. und 21. Jahrhundert häufig gezeigt, befand sich ja alles
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