Dreikönigsmord (German Edition)
sagte sie.
»Und?«
»Rate mal, wer in die Verhandlungen mit Worms über die Reliquie der heiligen Gertrudis involviert war?«
»Jörg Schreiber?«
»Jepp.«
»Wir hatten ja ohnehin vor, uns diese Reliquie, das heißt, die Statue, in der sie aufbewahrt wird, gleich mal anzusehen. Vorher müssen wir aber noch dem Jungen seine Kleidung wieder anziehen.«
»Äh ja …«, erwiderte Jo etwas unschlüssig.
Lutz warf ihr einen überraschten Blick zu. Dann begriff er und grinste. »Ich schaff das schon alleine. Notier du mittlerweile ruhig schon einmal unsere neuesten Erkenntnisse auf deinem Wachstäfelchen.«
Es dauerte eine Weile, bis Lutz das Schloss der Kirchentür mit Hilfe der Dietriche geöffnet hatte. Doch schließlich gab es nach. »Wo hast du es eigentlich gelernt, Schlösser zu knacken?«, flüsterte Jo, als sie hinter ihm in das Kircheninnere schlüpfte.
»Spezialkurs während meiner Ausbildung, Einbruchprävention, also alles ganz legal.« Auch Lutz senkte unwillkürlich die Stimme.
Ihre Schritte hallten dumpf auf dem Steinboden wider. Der dunkle Kirchenraum erschien Jo riesig. Nur vorn im Altarraum bildete eine brennende Kerze einen winzigen Lichtpunkt. Das Glas in den hohen Fenstern schimmerte in einem matten Grau. Wie gefrorenes Flusswasser , ging es ihr durch den Kopf. Schwacher Weihrauchgeruch lag in der Luft und verursachte eine plötzliche Beklemmung in ihr. Sie öffnete das Türchen der Blendlaterne einen Fingerbreit und ließ den schmalen Lichtkeil vor ihnen über den Boden wandern.
»Wo finden wir denn nun die Statue der heiligen Gertrudis?«, fragte sie. Neben ihnen tauchte ein Sarkophag auf, den ein in Stein gehauener Ritter zierte. In dem unsteten Licht schien sich die Plastik zu bewegen. Eine Gänsehaut überlief Jo. Da waren ihr nächtliche Fabrikhallen und Parkhäuser ganz entschieden lieber als diese Kirche.
»Vorn beim Lettner.« Lutz wies auf das Gitter, das sich als schwarzes Raster vor dem Altarraum abzeichnete. Sie liefen an weiteren Sarkophagen und Grabplatten vorbei. Von einer Säule her blitzte es einen Moment lang golden auf.
Jo atmete auf, als sie den Lettner erreicht hatten. Darauf bedacht, dass kein Licht nach draußen drang, hob sie die Laterne. Die Statue der heiligen Gertrudis war aus Holz geschnitzt und stand auf einer etwa anderthalb Meter hohen Säule. Auch bei ihr stimmten die Proportionen nicht. Der Kopf war im Verhältnis zum Körper etwas zu groß geraten. Aber das mit zarten Farben bemalte, von langen lockigen Haaren umrahmte Gesicht wirkte lieblich, und der schmale Körper mit dem vorgestreckten rechten Fuß besaß eine ganz eigene Anmut.
»Auf der Vorderseite der Statue befindet sich jedenfalls keine Öffnung für eine Reliquie«, hörte sie ihren Kollegen murmeln. »Leuchte einmal mit der Lampe auf die Rückseite.« Die Rückseite war nur wenige Handbreit von dem Lettner entfernt.
»Das ist leichter gesagt als getan«, zischte Jo. »Wie soll ich denn da herankommen? Oder siehst du irgendwo eine Leiter?«
»Ich helfe dir.« Lutz formte mit den Händen einen Tritt. Jo stieg darauf. Während sie den schmalen Lichtstrahl auf den Rücken der Heiligen richtete, hielt sie sich mit der freien Hand an dem hölzernen Lettner fest und stellte ihre Füße auf eine Querstrebe. »Ja, hier ist ein Türchen. Es ist mit einem kleinen Schlüsselloch versehen«, raunte sie. »Gib mir einmal den Lesestein.«
»Warum brauchst du ihn?« Lutz zog den quadratischen Kristallwürfel aus seiner Manteltasche und reichte ihn ihr.
»Weil ich glaube, dass das Türchen gewaltsam geöffnet wurde.« Jo hängte den Bügel der Lampe über eine vorstehende Verzierung des Lettners. Während sie den Lesestein über die beiden kleinen Metallflügel wandern ließ, biss sie sich vor Konzentration auf die Lippen. »Ja, hier sind ganz eindeutig tiefe Kratzer zu sehen«, sagte sie schließlich. »Sie sind zu tief, um von einem abgerutschten Schlüssel zu stammen.«
»Kannst du das Türchen öffnen?«
Auf Fingerabdrücke musste sie ja nicht achten … Vorsichtig drückte sie auf die beiden Flügel. Sie gaben nicht nach. »Das Türchen ist verschlossen«, erklärte sie rasch.
»Versuch es einmal damit.« Lutz reichte ihr einen besonders feinen Dietrich.
»Ich hab damit keine Erfahrung.«
»Jetzt mach schon.«
Während Jo sich wieder mit einer Hand am Lettner festhielt und mit der anderen in dem winzigen Schlüsselloch herumstocherte, dachte sie: Fällt das, was wir hier gerade tun, eigentlich
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