Dreikönigsmord (German Edition)
Mögliche in Reliquiengehäusen. Vom Hundezahn bis hin zu Mäuseknochen.
Missmutig wich Jo einem Unrathaufen am Marktrand aus. Sie und Lutz hatten beschlossen, auch noch andere Reliquiengehäuse zu untersuchen. Denn vielleicht war die Reliquie der heiligen Gertrudis ja nicht die einzige, die gestohlen und vertauscht worden war. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass eine echte Reliquie in dieser Zeit mindestens so viel wert war wie eine Original-Gitarre von Elvis im 21. Jahrhundert.
O Gott, ich darf mir das gar nicht weiter ausmalen … Jo unterdrückte ein gereiztes Stöhnen. Hauptkommissarin Jo Weber, die Jägerin der gestohlenen Reliquien …
Der Stand ihrer Weberei befand sich in einer langen Reihe von Buden, wo ebenfalls Stoffe und andere Tuchwaren verkauft wurden. Jo übergab der älteren Magd, die den Stand betreute, die Umschlagtücher und wollte sich wieder zum Gehen wenden, als eine kleine dicke Frau auf sie zutrat. Ihr aggressiv vorgeschobenes Kinn und die funkelnden Augen verrieten Jo, dass sie Ärger machen würde.
»Gut, dass ich Euch treffe, Josepha Weber, die Frau, in deren Werkstatt angeblich das beste Tuch der Stadt hergestellt wird«, höhnte die Dicke. »Dabei sind Eure Stoffe nichts als minderwertige Ware. Und das zu völlig überhöhten Preisen.«
Hä? Worauf wollte die denn hinaus …? Doch die Frau hatte schon ein braunes Wolltuch aus ihrem Bündel gezogen und wedelte damit vor Jo herum. »Zwei Gulden habe ich dafür bezahlt. Eine Woche lang habe ich es getragen, und schon war es voller Löcher.« Tatsächlich glich das Tuch, wie Jo jetzt erkannte, einem Schweizer Käse.
»Vielleicht die Motten?«, gab Jo zu bedenken. Oder unsachgemäßer Gebrauch , wollte sie hinzufügen. Aber plötzlich hatte sich um die Dicke eine Gruppe zusammengerottet.
»Der Wein, den ich letzten Monat von Euch teuer erworben habe, war sauer wie Essig«, keifte ein grauhaariger Alter, aus dessen runzeligem Kinn Bartstoppeln sprossen.
»Ja, mir ist es genauso ergangen«, stimmte ihm ein hakennasiger Kerl, der einen Lederschurz trug, lautstark zu.
»Der Zentner Weizen, den mein Gatte bei Euch gekauft hat, war voller Steinchen«, kreischte eine große, in einen grauen Mantel gehüllte Frau.
»Sie betrügt uns, um sich zu bereichern!«, brüllte nun wieder die kleine Dicke. »Kein Wunder, dass sie selbst die feinsten Kleider trägt!«
Wirklich …? Verdutzt blickte Jo an ihrem braunen Wollmantel hinab. Sie hatte den Stoff immer als ziemlich schwer und grob empfunden. »Ähm, ich glaube, Ihr täuscht Euch …«, begann sie.
»Jetzt streitet sie ihre Hoffart auch noch ab«, schrie die Dicke und packte Jo am Mantel. Jo löste ihre Finger und stieß sie zurück. Die Dicke taumelte durch den Schneematsch und prallte dann gegen den Mann mit dem Lederschurz.
»Lasst uns der Weber eine Lektion erteilen!«, brüllte dieser. Die Menge heulte wütend auf.
Verdammt, in was war sie hier nur hineingeraten? »Hol Hilfe«, raunte Jo der Magd zu, die das Geschehen ängstlich verfolgt hatte. Sie wollte eine Verteidigungsstellung einnehmen, die Beine leicht angewinkelt und hüftbreit auseinander, die Unterarme auf Brusthöhe erhoben, doch etwas wie ein heftiger elektrischer Schlag durchfuhr sie. Ihr Körper bäumte sich auf, nur um sich gleich darauf zusammenzukrümmen. Wie eine Marionette, deren Fäden durchschnitten wurden, sackte sie in den Matsch.
Verschwommen nahm Jo wahr, wie die Menge näherrückte. Der Mann mit dem Lederschurz hielt plötzlich einen Stock in den Händen. Sie wollte sich schützend zusammenrollen. Aber ihre Glieder gehorchten ihr nicht. Nur ein hilfloses Zappeln brachte sie zuwege.
Nun hatten die Leute einen Kreis um sie gebildet. Der Kerl mit dem Lederschurz schwang seinen Stock. Die Dicke kreischte etwas, das Jo nicht verstehen konnte, denn ein lautes Brausen füllte ihre Ohren. Sie schloss die Augen, erwartete den ersten Schlag.
Als dieser nicht erfolgte, blinzelte sie vorsichtig. Die Menge war zurückgewichen und hatte einem mächtigen Rappen Platz gemacht. Aus dem Sattel des Pferdes schwang sich ein Mann, der einen roten, mit schwarzem Pelz besetzten Mantel trug. Am Kragen funkelte eine goldene Fibel. Jo erschien es, als ob sich der Mann wie in Zeitlupe bewegte.
Er näherte sich ihr, beugte sich über sie. Sie vergaß ihre Angst. Dunkle Haare und Augen … Ein kräftiges, aber nicht zu wuchtiges Kinn … Ein sinnlicher Mund … Clark Gable, Cary Grant und Hugh Jackman in einem , dachte Jo.
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