Dreikönigsmord (German Edition)
dass das nicht üblich ist. Aber Bildhauer in Frankreich arbeiten seit einigen Jahren nach dieser Methode. Also, sie nehmen die Gesichter wirklicher Menschen als Vorbild für ihre Statuen. Ich möchte eine Statue der Jungfrau Maria anfertigen. Und sie soll Euer Antlitz tragen.«
Jo starrte ihn völlig entgeistert an. Sie, das Vorbild für eine Marienstatue …?
»Verzeiht, ich fürchte, mein Wunsch war vermessen. Ich wollte Euch nicht zu nahe treten.« Meister Mattis verbeugte sich vor ihr und machte Anstalten, sich zu verabschieden.
»Oh, nein, wartet. Warum wollt Ihr ausgerechnet mich als Modell haben?«
Meister Mattis zögerte einen Moment lang. Dann sagte er sehr ernst, während er Jo direkt in die Augen sah: »Weil ich Euch wunderschön und besonders finde. Wisst Ihr das denn nicht?«
Okay, anscheinend »stand« er tatsächlich auf sie … Was auch immer dies im Mittelalter implizieren mochte. Ein derart unverhohlenes Kompliment hatte ihr jedenfalls noch kein Mann gemacht. Jo fühlte sich entwaffnet und gerührt. »Ähm …«, begann sie. Wie konnte sie sich nur am besten aus der Affäre ziehen, ohne Mattis zu verletzen? »Ich bin zurzeit sehr stark beansprucht. Also zeitlich, meine ich. Das Weihnachtsgeschäft und überhaupt … Aber vielleicht, wenn es Euch nicht eilt, im Januar …« Dann befand sie sich, wenn alles gutging, hoffentlich schon wieder in ihrer eigenen Gegenwart, und ihre Ahnin – falls diese ihren Platz wieder einnahm – konnte sich mit dem Problem befassen.
»Wann immer es Euch beliebt.« Während sich Meister Mattis nun ein weiteres Mal verbeugte, errötete er ein wenig.
Ach, herrje … Sie fand ihn ja auch durchaus sympathisch und attraktiv. Schlag ihn dir aus dem Kopf! , sagte Jo streng zu sich, als sie weiterging.
Kurt Weber war mit seinen Rechnungsbüchern befasst, als ihm eine Magd seinen Bruder Albrecht meldete. Sofort fiel Kurt Weber wieder ein, wie sie es vor einigen Nächten zu dritt mit der drallen Hure getrieben hatten. Während sie auf seinem Bruder gehockt und ihn wild geritten hatte, hatte er von hinten ihre Brüste festgehalten. Wie riesengroße weiche Pfirsiche hatten sie in seinen Händen gelegen. Und dann hatte sie es ihm besorgt … Unwillkürlich schloss er die Augen, umfasste das Stehpult und stöhnte.
»Alles in Ordnung mit dir?«
Sein Bruder hatte das dunkel getäfelte Kontor betreten und ließ sich geschäftsmäßig auf dem breiten Stuhl gegenüber dem Stehpult nieder.
»Natürlich …« Kurt Weber richtete sich hastig auf und räusperte sich. »Du hast mit dem Obergesellen Georg gesprochen?«
»Ja, aber was er mir zu sagen hatte, war nicht so richtig zufriedenstellend. Unsere Schwägerin trifft sich mit diesem Lutz Jäger. So wurden die beiden zusammen bei der Dombaustelle und bei den Steinmetzmeistern Mattis und Wilhelm gesehen. Außerdem haben sie gemeinsam die Töpfereien vor dem Stadttor besucht. Und heute Mittag entdeckte Georgs Spitzel sie bei der Gertrudiskirche. Am Platz, wo der Leichnam des ermordeten jungen Mannes gefunden wurde.«
»Nun, dort ist die halbe Stadt zusammengelaufen …«
»Das stimmt. Kurz danach haben sie sich jedoch vor dem Stadttor getroffen. Irgendetwas ist zwischen den beiden im Busch. Georg besitzt zwar noch keinerlei Beweise, dass sie ein unzüchtiges Verhältnis miteinander haben. Trotzdem lege ich dafür meine Hand ins Feuer.« Albrecht Weber verzog angewidert den Mund.
Sein Bruder musste erneut an ihren Dreier mit der Hure denken und empfand nun doch einen Anflug von Schuldbewusstsein, den er allerdings schnell verdrängte. »Und wenn wir einfach das Gerücht streuen, dass Josepha und Lutz Jäger es miteinander treiben?«, meinte er. »Schließlich besitzt dieser Wirt einen miserablen Ruf.«
»Da hast du schon recht.« Albrecht Weber nickte. »Aber wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass er auch über eine Menge zwielichtiger Freunde verfügt. Deshalb möchte ich erst einmal lieber keinen Ärger mit ihm haben. Ich habe nachgedacht. Bis wir über Beweise verfügen, können wir unserer teuren Schwägerin auf andere Weise Schwierigkeiten bereiten.« Er beugte sich vor und unterrichtete seinen Bruder von seinem Plan.
Als Jo sich dem Schuppen im hinteren Hof der Gertrudiskirche näherte, schlüpfte Lutz aus der Dunkelheit. »Du kommst spät«, bemerkte er.
»Ach, bei mir gab es einen riesigen Aufruhr, weil eine Magd vergessen hatte, den Bratspieß zu drehen. Das Schwein ist angebrannt, und die Köchin war einem
Weitere Kostenlose Bücher