Dreikönigsmord (German Edition)
hatte eben mein Messer im Stroh gefunden, als ich den Jungen über den Platz laufen und dann am linken Seitenschiff vorbeigehen sah. Ich kannte ihn. Uns Bettlern prägen sich eigentlich alle Leute ein, die häufiger die Kirche besuchen.«
»Dann war der Junge ein regelmäßiger Kirchgänger?«
Der Bettler schüttelte den Kopf. »Die Messe besuchte er eher selten. Aber er kam öfter einmal zur Kirche. Wahrscheinlich wollte er einfach beten. Oder Vergebung für seine Sünden erflehen. Was weiß ich … Jedenfalls hatte er immer ein paar Münzen für uns Arme übrig. Meistens nur Pfennige. Aber es war ihm anzusehen, dass er selbst nicht gerade viel besaß.«
»Um wie viel Uhr kam er zur Kirche?«
»Die Glocken hatten eine Weile vorher neun geschlagen.« Ein heftiges Husten schüttelte den Bettler. Er spuckte den Schleim auf die Steinfliesen und musterte dann Lutz. »Ein eifriger Gottesdienstbesucher seid Ihr ja auch nicht gerade. Aber wenn Ihr einmal zur Kirche kommt, seid Ihr immer freigiebig.«
Schön zu wissen, dass sein Mittelalter-Ich ein Altruist war … »Das war alles, was Ihr beobachtet habt? Sehr viel weitergeholfen habt Ihr mir damit, ehrlich gesagt, nicht …«
»Nein, das war noch nicht alles.« Der Bettler verzog seine blaugefrorenen Lippen zu einem dünnen Lächeln und schniefte. »Ich sah außerdem, dass jemand dem Jungen folgte.«
Lutz wartete.
»Nämlich Meister Mattis, der Steinmetz.«
Lutz konnte seine Überraschung nicht verbergen. »Das war wirklich der Mann, den Ihr beobachtet habt? Ihr habt Euch nicht getäuscht?«
»Nein, denn ich habe den Meister im Sommer oft gesehen. Er hat einige Statuen für die Fassade der Kirche gefertigt.« Wieder hustete der Bettler heftig, und erneut sonderte er seinen Schleim auf den Boden ab. »Das ist alles, was ich Euch sagen kann. Ich hatte mein Messer gefunden und bin wieder zu meinem Schlafplatz gegangen.«
»Hier …« Lutz fügte der Münze noch eine weitere hinzu. Bestimmt wird es Jo ganz und gar nicht gefallen, überlegte er, dass der Mann, der ein Auge auf sie geworfen hat, Frowin in der Mordnacht gefolgt ist.
Kurt Weber würgte einen Löffel Brotsuppe hinunter. Die Speckbröckchen und Zwiebelstückchen darin kratzten in seinem Hals.
»Schmeckt es dir denn nicht?«, fragte seine Frau. »Du hast ja kaum etwas von der Suppe angerührt. Dabei habe ich noch extra eine Messerspitze Muskat hineingetan.« Ihre Stimme hatte ihren üblichen vorwurfsvoll-wehleidigen Ton.
»Lass mich in Ruhe!«, fuhr er sie an. Wie satt er seine Gattin hatte. Sie war dick, ohne drall zu sein – ihr Leib und ihre Brüste waren von den sechs Kindern, die sie geboren hatte, schlaff geworden. Hübsch war ihr breites, flaches Gesicht sowieso nie gewesen, und die Falten, die sich im Lauf der Jahre hineingegraben hatten, machten es jetzt regelrecht hässlich.
Die dumpfe Wut, die Kurt Weber ohnehin schon verspürt hatte, wurde noch stärker und ließ ihm das wenige, das er bei der Abendmahlzeit zu sich genommen hatte, schwer und sauer im Magen liegen. Am späten Nachmittag hatte er erfahren, dass sein und Albrechts Plan, die Standbesitzer auf dem Markt gegen Josepha aufzuhetzen, nicht nur schiefgelaufen war – nein, er hatte zu einem Debakel geführt.
Nicht genug damit, dass Bischof Leonard Josepha zu Hilfe gekommen war, er hatte auch noch verkünden lassen, dass jeder, der künftig für Aufruhr auf dem Markt sorgte, öffentlich mit Ruten gezüchtigt würde. Außerdem gab es Gerüchte, dass der Bischof Josepha in seinen Palast gebracht und von seinem Medicus habe betreuen lassen. Ihre Schwägerin stand somit eindeutig unter Leonards Schutz. Und gegen den Bischof konnten er und sein Bruder nichts ausrichten.
Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken aufzugeben. War es nicht am besten, wenn er und Albrecht sich mit dem beschieden, was sie besaßen, und auf das Erbe ihres Bruders verzichteten? Kurt Weber hob den Kopf und blickte über die Tafel in der niedrigen, verräucherten Küche. Zwei Dutzend Mägde und Knechte saßen über ihre irdenen Schalen gebeugt. Mit seinem Anteil aus Gerhardts Erbe würde er sich ein größeres Haus und mindestens ein Dutzend weitere Bedienstete leisten können. An Festtagen würden ein versilberter Salzstreuer und versilberte Leuchter mit Honigkerzen auf dem Tisch stehen, und feines Leinentuch würde die Tafel bedecken. So, wie es im Haus seines verstorbenen Bruders schon lange Sitte war. Außerdem würde er die Dienste der drallen Hure dann
Weitere Kostenlose Bücher