Dreikönigsmord (German Edition)
einer geheimen Last trüge. Er war genau die Inspiration für die Statue eines gefallenen Engels, nach der ich schon lange gesucht hatte.« Meister Mattis trat zu einem Regal in der Nähe des Tischs und nahm ein dünnes Buch heraus. Nachdem er kurz darin geblättert hatte, reichte er es Jo. Von den Pergamentseiten blickte ihr, einmal mit schwarzer Tusche, einmal mit einem Silberstift gemalt, Frowin entgegen. Sie musste an ihr Gespräch mit ihm denken und daran, wie jung er gewesen war, und schluckte.
»Ich fragte den Jungen, ob er mir Modell sitzen würde«, redete Meister Mattis weiter. »Frowin willigte ein. Nach und nach fasste er Vertrauen zu mir und erzählte mir, dass er sich Geld als Lustknabe verdiente. Ich schätze, er war einsam und einfach froh, sich einmal jemandem anvertrauen zu können.«
»Hat er Euch von seinen Freiern erzählt?«
Meister Mattis starrte sie verblüfft an. »Nein, natürlich nicht. Und ich wäre auch nicht auf den Gedanken verfallen, ihn danach zu fragen.«
Okay, war auch nur ein Versuch gewesen … »Warum seid Ihr Frowin in der Mordnacht gefolgt?«
»Woher wisst Ihr das?«
»Das tut nichts zu Sache.«
Er musterte sie erneut ärgerlich und schien mit sich zu Rate zu gehen, ob er Jo antworten sollte oder nicht. Doch schließlich sagte er: »Ich hatte den Pfarrer der Gertrudiskirche wegen eines Auftrags aufgesucht …«
»Pater Kolonat?«, unterbrach ihn Jo.
»Nein.« Er schüttelte ungeduldig den Kopf. »Pater Hilarius … Pater Kolonat ist nicht der Gemeindepfarrer. Das wisst Ihr doch.«
Wusste sie nicht … Jo sparte sich den Hinweis auf ihre lange Krankheit. »Um welchen Auftrag ging es?«, fragte sie stattdessen.
»Um zwei Heiligenstatuen, die ich und meine Werkstatt noch für die Fassade anfertigen sollten. Als ich das Haus des Pfarrers verließ, sah ich Frowin über den Kirchplatz und dann in Richtung des Seitenschiffs laufen. Ich hatte ihn länger nicht gesehen und wollte einfach wissen, wie es ihm ging.«
»Wie lange habt Ihr mit ihm gesprochen?«
Meister Mattis wirkte immer verwirrter. »Nicht lange. Vielleicht für die Dauer von zwei Vaterunsern.«
Wie sie diese Zeitangaben hasste … Nun, sehr lange schienen sich die beiden also nicht unterhalten zu haben. »Und dann, nachdem Ihr Euch von Frowin verabschiedet hattet …?«
Er zuckte mit den Schultern. »Frowin ist stehen geblieben. Ich hatte den Eindruck, dass er auf einen Freier wartete, und wollte ihn nicht stören.«
»Wo genau befand er sich, als Ihr ihn verlassen habt?«
»Beim hinteren Ende des Seitenschiffs. Dort, wo es vom Querschiff gekreuzt wird.« Meister Mattis runzelte nachdenklich die Stirn. »Nicht weit weg vom Ausgang der Sakristei.«
Jo nickte. Sie und Lutz hatten festgestellt, dass dort eine Tür von der Sakristei nach draußen führte. In der folgenden Nacht waren Jörg Schreiber und Pater Kolonat in der Sakristei verschwunden. Der Pater besaß einen Schlüssel für das Hauptportal. Also besaß er bestimmt auch einen Schlüssel zu dieser Seitentür.
»Habt Ihr gesehen, dass jemand zu Frowin kam – oder sonst etwas beobachtet?«
»Nein«, er schüttelte ungeduldig den Kopf, »ich sagte Euch doch schon, dass ich ihn nicht stören wollte.«
Ob Meister Mattis die Wahrheit gesprochen hatte? Jos Gefühl sagte: Ja. Aber was hieß das schon?
Er ging einen Schritt auf sie zu, während er sie ernst und forschend anblickte. »Josepha, nachdem ich Euch all Eure merkwürdigen Fragen beantwortet habe, beantwortet Ihr mir nun bitte meine Frage: Warum wollt Ihr all dies von mir wissen?«
Sie dachte kurz nach. Was konnte es schaden, wenn er die Wahrheit, oder zumindest einen Teil davon, kannte? »Weil es meine Aufgabe ist, den Mord an Frowin aufzuklären.«
»Was redet Ihr da?«
»Es ist so, wie ich Euch sage. Auch wenn ich Euch den Grund dafür nicht nennen kann.«
»Ich glaube Euch kein Wort.« Abwehrend schüttelte er den Kopf.
Jo seufzte. »Wenn Ihr wirklich nichts mit dem Mord an Frowin zu tun habt und wenn Euch tatsächlich etwas an Josepha Weber liegt – ich meine, an der Josepha, die Ihr kennt und die Ihr mögt –, dann vergesst am besten dieses Gespräch. So, als hätte es nie stattgefunden.«
Meister Mattis’ Miene verfinsterte sich immer mehr. »Ihr sprecht in Rätseln. Ich bitte Euch, geht!«
Jo begriff, dass ihn jedes weitere Wort nur noch mehr aufbringen würde. Dabei konnte sie seinen Ärger nur zu gut verstehen. Herrje, dachte sie, als sie auf die Gasse hinaustrat, nicht
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