Dreikönigsmord (German Edition)
wirklich gekümmert. Mich ehrlich gesagt auch nicht. Schließlich war der Junge ein Fremder.« Er zog ein Messer aus seinem Gürtel und pulte damit in seinen Zähnen herum. Wieder einmal dachte Lutz, dass er sich, sosehr er auch manches am Mittelalter schätzte, mit diesem seltsamen Rechtsverständnis nie würde anfreunden können. Wie konnte es nur möglich sein, dass in dieser Welt ein Bürger so viel mehr zählte als ein Fremder?
»Aber Anna gehörte zu uns. Sie stammte aus einer alten, angesehenen Handwerkerfamilie. Die Leute haben nun Angst, dass der Mörder es ebenfalls auf sie abgesehen haben könnte. Angst macht die Leute gefährlich. Ich möchte es nicht erleben müssen, dass eine wütende Menge eines Tages Jagd auf Unschuldige macht.«
»Nein, das darf auf keinen Fall geschehen«, stimmte Lutz ihm zu.
Peter bedachte ihn mit einem abwägenden Blick. »Und was dich betrifft: Du solltest auch auf dich aufpassen. Nach allem, was man so hört, ist Jörg Schreiber ziemlich wütend auf dich.«
Lutz fragte sich, ob der Geschäftsführer des Männerpuffs etwa doch geplaudert hatte. »Ist Schreiber wegen etwas Neuem wütend, oder geht es um alte Geschichten?«
»Gäbe es denn etwas Neues?«
Lutz winkte lässig ab. »Wo denkst du hin?«
Die beiden tauschten ein rasches, einvernehmliches Grinsen.
»Weshalb ich eigentlich gekommen bin …« Lutz beugte sich vor. »Bei Annas Leichnam habe ich einen merkwürdigen Schuhabdruck gesehen. Genau genommen war es der Abdruck eines Absatzes.« Er wünschte sich, Jos Wachstäfelchen zur Hand zu haben. »Hast du mal was, auf das ich schreiben oder malen kann?«
»Bist wohl plötzlich unter die Künstler gegangen?« Peter kniff ein Auge zu, ehe er sich auf dem Tisch umsah, wo sich – neben dem Schreiben des Bischofs – ölgetränkte Lappen, ein Schwertgurt, mehrere Tonhumpen sowie ein Hammer befanden. Schließlich förderte er unter dem Schwertgurt tatsächlich ein Wachstäfelchen und einen Griffel zutage und schob sie Lutz zu. »Hier …«
Amüsiert verfolgte er, wie Lutz den Abdruck in das Wachs ritzte. »Nee, habe ich noch nie gesehen«, sagte Peter dann, als dieser fertig war.
»Ich denke, es wäre eine gute Idee, wenn du dich einmal unter deinen Soldaten umhören würdest, ob einem von denen, die sich bei Annas Leiche aufgehalten haben, dieser Schuh gehört. Oder ob einer deiner Soldaten jemanden kennt, der einen solchen Schuh besitzt.«
Peter ließ sich Lutz’ Worte durch den Kopf gehen. »Du willst doch hoffentlich nicht darauf hinaus, dass einer meiner Jungs Annas Mörder ist?«, sagte er schließlich.
»Nein, ich will nur darauf hinaus, dass es erst einmal wichtig ist zu wissen, wem der Schuh gehört. Ist das geklärt, müssen wir … ich meine, solltest du unbedingt weiter forschen. Kannten sich Anna und der Schuhbesitzer? Und wenn ja, in welcher Beziehung standen sie zueinander? Wo hielt sich der Schuhbesitzer zur Tatzeit auf? Verfügt er über ein Alibi?« Lutz hatte vergessen, dass er keinen Polizeischüler vor sich hatte, und sich in Fahrt geredet.
Peter musterte ihn zunehmend konsterniert und kratzte sich am Kinn. »Ich habe dich noch nie so krauses Zeug reden hören«, meinte er, als Lutz verlegen abbrach. »Aber ja, wenn du meinst, es könnte helfen, den verdammten Mörder aufzuspüren, höre ich mich einmal um.«
»Danke … Wer hat eigentlich Anna gefunden?«
»Ortwin, der Leinenweber. Ihm gehört das Gut rechter Hand von der Wiese, wo ihre Leiche lag. Er war auf dem Nachhauseweg mit seinem Hund …«
»Zu Fuß oder zu Pferd?«
Peter seufzte. »Zu Fuß, wenn du es ganz genau wissen willst. Jedenfalls begann der Hund, als sie an der Wiese vorbeigingen, plötzlich wie wild zu bellen und raste los. Da der Hund sich nicht zurückpfeifen ließ, ging Ortwin nachschauen, was los war. Und entdeckte Anna vor dem Gebüsch …« Peter schwieg einen Moment. Dann deutete er auf das Wachstäfelchen und grinste. »Ortwin gehört dieser Schuh jedenfalls nicht. Er ist über sechs Fuß groß und hat Latschen vom Ausmaß eines Kindersargs.«
»Oh, gut zu wissen …« Lutz hatte sich in der Tat schon gefragt, wie er es wohl fertigbringen sollte, im Schuhschrank der Person herumzustöbern, die das tote Mädchen gefunden hatte. »Um wie viel Uhr hat dieser Ortwin Anna denn gefunden? Weißt du das?«
»Kurz nach sechs. Er sagte, er sei an der Gertrudiskirche vorbeigekommen, als es dort zur Andacht geläutet habe.«
»Aber wie kann er, wenn er um sechs bei dieser
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