Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
damals – neben den Gesellschaftstänzen, mit denen er seinen Lebensunterhalt verdiente: Tango, Foxtrott, Boston – die Kunst, mit Worten Feuerwerke zu entfachen und schweigend melancholische Landschaften zu zeichnen. In vielen ertragreichen Jahren hatte er sich nur selten getäuscht: Kaum eine gutsituierte Dame, gleich welchen Alters, die ihm widerstanden hätte, ob bei einem Tanztee im Palace, im Ritz oder im Excelsior, auf einer Terrasse an der Riviera oder im Erste-Klasse-Salon eines Überseedampfers. Er hatte zu der Sorte von Männern gehört, die man morgens im Frack in einer Konditorei antreffen konnte, wo sie den Dienstboten des Hauses, in dem sie am Abend zuvor zu einem Ball oder Festmahl geladen waren, ein Frühstück spendierten. Für solche Dinge hatte er eine Begabung, oder ein Gespür. Wenigstens einmal in seinem Leben hatte er es auch fertiggebracht, sein gesamtes Vermögen im Kasino zu verspielen, auf dem Trittbrett der Straßenbahn nach Hause zu fahren, vollkommen bankrott, und ungerührt The Man Who Broke the Bank at Monte Carlo zu pfeifen. Und er wusste mit solcher Nonchalance eine Zigarette anzuzünden, die Krawatte zu binden oder gut gebügelte Hemdmanschetten zu tragen, dass die Polizei nie gewagt hätte, ihn festzunehmen, solange sie ihn nicht auf frischer Tat ertappte.
»Max.«
»Señor?«
»Sie können den Koffer ins Auto legen.«
Die Sonne des Golfs von Neapel schmerzt in den Augen, wenn sie sich in den Chromteilen des Jaguars Mark X spiegelt, genau wie bei den Automobilen, die er und die anderen früher fuhren. Aber auch das ist seither anders geworden; und sogar sein Charisma hat sich verflüchtigt, das einmal so sehr Teil von ihm gewesen war, dass selbst sein Schatten welches besessen hatte. Max Costa wirft einen Blick auf den Schatten zu seinen Füßen, bewegt sich sogar ein bisschen, ohne Ergebnis. Er weiß nicht, wann genau es geschehen ist, doch das ist das Wenigste. Sein Charisma ist dahin und gehört, wie so vieles andere, der Vergangenheit an.
Er zieht eine resignierte Grimasse, oder vielleicht kneift er auch nur die Augen zusammen, weil ihn die Sonne blendet, und versucht, seine Gedanken auf etwas Konkretes, Greifbares zu lenken – den Reifendruck bei halber und voller Belastung, das reibungslose Funktionieren der vollsynchronisierten Gangschaltung, den Ölstand –, um sich von diesem bittersüßen Gefühl abzulenken, das sich immer dann einstellt, wenn er Nostalgie und Einsamkeitsgefühl die Oberhand gewinnen lässt. Er atmet tief und still durch, und nachdem er die silberne Raubkatze auf der Kühlerhaube mit einem Lappen poliert hat, greift er nach der grauen Uniformjacke, die gefaltet über der Lehne des Fahrersitzes liegt, und schlüpft hinein. Erst als er sie ordentlich zugeknöpft und den Krawattenknoten zurechtgerückt hat, geht er langsam die Stufen hinauf, die, flankiert von kopflosen Marmorstatuen und Steinvasen, zum Hauptportal führen.
»Vergessen Sie die Aktentasche nicht.«
»Keine Sorge, Señor.«
Doktor Hugentobler mag es nicht, in Italien von seinen Angestellten mit Doktor angesprochen zu werden. In diesem Land, pflegt er zu sagen, wimmelt es von dottori , cavalieri und commendatori . Ich bin ein Schweizer Arzt. Und seriös. Ich will nicht, dass sie mich für einen der Ihren halten, für den Neffen eines Kardinals, eines Mailänder Industriellen oder etwas in der Art. Max Costa dagegen wird in der Villa am Stadtrand von Sorrent von allen einfach nur Max gerufen. Worin eine gewisse Paradoxie liegt, immerhin hat er im Lauf seines Lebens wechselnde Namen und Titel verwendet, den jeweiligen Umständen entsprechend adlige oder bürgerliche. Doch seit einiger Zeit, seit sein Charisma zum letzten Mal das Taschentuch geschwenkt und sich ein für alle Mal verabschiedet hat – wie eine Frau im Fenster eines Schlafwagenabteils, die, eingehüllt in eine Dampfwolke, für immer entschwindet, ohne dass man jemals erfahren wird, ob sie einen in ebendiesem Augenblick oder schon seit langem nach und nach verlassen hat –, ist er zu seinem eigenen, wahren Namen zurückgekehrt. Charisma im Tausch gegen einen Namen, der bis zu seiner jüngsten, ebenso natürlichen wie zwangsläufigen beruflichen Veränderung, zu der auch ein vorübergehender Gefängnisaufenthalt beigetragen hat, in halb Europa und Amerika dicke Polizeiakten füllte. Jedenfalls hätte er sich niemals träumen lassen, denkt er, während er die lederne Aktentasche und den Samsonite-Koffer im Wagen verstaut,
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