Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
bissen, erröteten, wenn er ihnen den Arm um die Taille legte, oder zu klatschen anfingen, wenn ein Boogie-Woogie erklang. Und somit hatte der Eintänzer der Cap Polonio zum ersten Mal an diesem Abend Freude an seiner Arbeit.
Sie sahen sich nicht wieder an, bis der Boston – es war What I’ll Do – zu Ende war und das Orchester einen Tango, A media luz , anstimmte. Für einen Moment hatten sie sich auf der halbleeren Tanzfläche reglos gegenübergestanden, und da sie keine Anstalten machte, an ihren Tisch zurückzukehren – wo mittlerweile ein Herr im Smoking saß, vermutlich ihr Ehemann –, breitete er bei den ersten Tönen die Arme aus, und die Frau nahm sofort wieder ihre Tanzhaltung ein, ebenso unnahbar wie zuvor. Sie legte die linke Hand auf seine Schulter, streckte träge den anderen Arm aus, und sie begannen, sich über die Tanzfläche zu bewegen – zu schweben, dachte Max, das ist der Ausdruck. Die Augen mit der honigfarbenen Iris starrten wieder an ihrem Tanzpartner vorbei und richteten sich nie auf sein Gesicht, obwohl sie sich mit erstaunlicher Präzision führen ließ, im festen, langsamen Rhythmus des Mannes, wobei er dafür sorgte, dass eine respektvolle Distanz gewahrt blieb und der Körperkontakt nicht über das hinausging, was zur Ausführung der Tanzfiguren erforderlich war.
»Ist das für Sie in Ordnung so?«, fragte er nach einer komplizierten Schrittkombination, der sie mit traumwandlerischer Sicherheit gefolgt war.
Endlich bedachte sie ihn mit einem flüchtigen Blick. Möglicherweise sogar mit dem Anflug eines Lächelns, das sofort wieder erstarb.
»Absolut.«
Nachdem der ursprünglich argentinische Tango die Bars der Pariser Halbwelt erobert hatte, machte er seit einigen Jahren auf beiden Seiten des Atlantiks Furore. Darum fülltesich die Tanzfläche bald mit Paaren, die sich mehr oder weniger anmutig über das Parkett schoben, sich aufeinander zu und voneinander weg bewegten, was je nach Begabung und Übung korrekt bis grotesk wirkte. Max’ Partnerin jedoch begleitete ihn gekonnt bei den schwierigsten Schritten, passte sich den klassischen, vorhersehbaren Figuren ebenso an wie solchen, die er, seiner Tänzerin immer mehr zutrauend, zwischendurch improvisierte, stets in seinem eigentümlich schnörkellosen, verhaltenen Stil, aber gespickt mit cortes und neckischen Seitschritten, die sie mühelos parierte, ohne aus dem Takt zu geraten. Auch sie schien Freude an der Bewegung und der Musik zu haben, sie schenkte Max jetzt öfter ein Lächeln.
Während sie über das Parkett glitten, studierte er ihren Mann mit dem ruhigen Auge eines erfahrenen Jägers. Darin war er geübt: Ehegatten, Väter, Brüder, Söhne, Liebhaber der Frauen, mit denen er tanzte, einzuschätzen. Männer, die ihre Frauen mit Stolz, Herablassung, Langeweile, Schicksalsergebenheit oder anderen ähnlich männlichen Gefühlen begleiteten. Es verbarg sich viel nützliche Information in Krawattennadeln, Uhrketten, Zigarettenetuis und Ringen, dem Umfang der vor dem Kellner halb geöffneten Brieftaschen, in Qualität und Schnitt eines Sakkos, der Bügelfalte einer Hose oder dem Glanz der Schuhe. Selbst in der Art des Krawattenknotens. Alles das ergab den Fundus, aus dem Max Costa im Takt der Musik seine Methoden und Pläne schöpfte, um, prosaischer ausgedrückt, vom Salontanz zu lukrativeren Tätigkeiten überzugehen.
Als das Stück zu Ende war, geleitete Max seine Partnerin zu ihrem Tisch und warf aus nächster Nähe einen letzten Blick auf ihren Gatten: elegant, selbstsicher, Anfang vierzig. Kein schöner Mann, aber von angenehmem Äußeren mit seinem feinen, distinguierten Oberlippenbart, dem gelockten, leicht ergrauten Haar, dem wachen, intelligenten Ausdruckder Augen, denen, wie Max sehr wohl bemerkt hatte, nichts von dem entging, was sich auf der Tanzfläche abspielte. Max hatte vom Maître erfahren, dass es sich um den spanischen Komponisten Armando de Troeye und seine Gattin handelte: exklusive Suite in der ersten Klasse und der Tisch neben dem des Kapitäns im großen Speisesaal, was an Bord der Cap Polonio viel Geld oder eine herausragende gesellschaftliche Stellung und meistens beides zugleich bedeutete.
»Es war mir ein Vergnügen, Señora. Sie tanzen wundervoll.«
»Danke.«
Er verabschiedete sich mit einer kleinen, fast militärischen Verbeugung, einer Geste, die Frauen zu gefallen pflegte, wie auch die Unbefangenheit, mit der er ihre Finger an die Lippen führte, und sie erwiderte den Gruß mit einem
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