Dreimond - Das verlorene Rudel
moosbewachsenen Felsen, kein Blättchen Laub war zu sehen. Überall wuchsen diese immer gleichen geraden Fichten, deren spitze Nadeln den Waldboden in dicken Lagen übersäten. Einzig ein paar dünne, grünsilbrige Kletterranken wagten es, die schuppigen Stämme zu umgarnen.
Hier konnten sie sich nicht verstecken. Sie waren aller Dunkelheit zum Trotz schon aus der Ferne zu sehen. Fiona musste an die Fratze des Tieres denken, das sie zu Boden gerissen hatte. Innerhalb von Sekunden …
»He, ist wirklich alles in Ordnung?«, fragte Lex besorgt.
»Natürlich! Habe ich doch schon gesagt!«, entgegnete sie gereizt. Sie war es satt, in dieser Geschichte das Opfer zu spielen.
»Nicht so laut!«, zischte Carras. »Sonst hört uns noch jemand!«
»Lass sie in Ruhe und konzentrier’ dich aufs Fährtenlesen«, murmelte Lex.
Sie fragte sich, ob wirklich alle Späher mit dem Kampf am Waldrand beschäftigt waren. Was sie überhaupt tun konnten, um Serafin zu befreien, wenn sie kaum mit einem dieser Wesen fertig wurden …
Wieder sah sie den rachsüchtigen Blick des fremden Wolfes vor sich. Wieder blickte sie im Laufen zurück. Niemand.
»Schon komisch, dass es hier keine Wächter gibt …«, raunte sie den Freunden zu.
»Sie brauchen keine«, flüsterte Carras heiser und deutete nach vorn. »Dort dringt niemand ungesehen ein …!«
Zwischen den Bäumen blitzten rote Mauern auf.
»In Deckung!«, zischte Lex und zog sie mit Carras hinter zwei aneinander lehnende Stämme. »Zwischen den Mauern wimmelt es mit Sicherheit von deinen heiß ersehnten Wächtern!«
Fiona schielte vorsichtig hinter den Bäumen hervor. Tatsächlich – von dem bedrohlich hohen Burgfried hatten Späher eine uneingeschränkte Sicht auf jeden, der dem Wolfshort zu nahe kam. Der rote Koloss, den Wilder Wein umrankte, wirkte wie ein Mahnmal aus einer längst vergangenen Zeit.
»Was ist, wenn sie uns schon gesehen haben?«, flüsterte Carras mit zitternder Stimme. Seit der Sache am Waldesrand sah er ziemlich mitgenommen aus.
»Entspann dich! Das haben sie nicht! Sonst wären wir hier nicht mehr allein!«, beruhigte ihn Lex, doch auch er klang angespannt.
»Und jetzt?«, murmelte Fiona. »Wenn wir näher rangehen, sehen sie uns auf jeden Fall! Aber wenn wir bis zur Nacht warten …«
»Das würde auch keinen Unterschied machen«, fiel ihr Carras ins Wort. »Wölfe sehen auch im Dunkeln!« Seine Stimme bebte. »Die sehen uns … die sehen uns auf jeden Fall!«
»Sollen sie doch!«, fauchte Lex. »Denen werde ich Beine machen! Jedem Einzelnen! Ich hol Serafin da raus! Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!«
»Nicht so laut …!«, wisperte Carras verzweifelt.
»Sollen sie doch …«, wiederholte Fiona leise die Worte des Wolfsmanns »Ja, genau! Sollen sie uns doch sehen! Oder vielmehr dich, Lex!«
»Bist du jetzt auch noch übergeschnappt?«, japste Carras.
Lex räusperte sich verlegen.
»Kleine, also … Das war jetzt nicht ganz wörtlich gemeint … Es … ist ja schön, dass du so sehr auf meine Kräfte vertraust, aber …«
»Nein, nein! Jetzt hört mir doch mal zu!«, forderte sie aufgeregt. »Lex hast du mir nicht einmal erzählt, dass du die Sichel früher bewundert hast, dass du ihr – wie so viele Wölfe – sogar zu gern beigetreten wärst?«
»Du wolltest was?«
Vorwurfsvoll starrte Carras Lex an, der wiederum Fiona anblitzte.
»Also, Carras, du … Ich, na ja … Das stimmt schon, aber das ist langer her! Weißt du, früher da haben mich all die Geschichten von der Macht der Sichel eben … beeindruckt und …«, versuchte er, dem Wolfsjungen zu erklären.
»Beeindruckt haben sie dich?«, echote Carras entsetzt.
»Naja, beeindruckt ist vielleicht das falsche Wort …«, hüstelte Lex. »Aber seit ich das mit deinen Eltern weiß, ist das Allerletzte, was ich will, der Sichel beizutreten!«
»Doch, doch, das wirst du!«, entgegnete Fiona.
»Was soll denn das schon wieder heißen?«, fuhr Lex sie an. »Du meinst doch nicht etwa, dass …?«
»Doch, ganz genau das meine ich!«, erklärte sie begeistert. »Ist doch ganz klar, wenn wir an den Wächtern nicht vorbeikommen, müssen wir es eben so drehen, dass Lex von ihnen eingelassen wird!«
»Lex und ich sollen also so tun, als ob wir der Sichel beitreten wollten?«, flüsterte der Wolfsjunge aufgeregt.
»Du nicht, Carras. Du wurdest hier geboren. Möglich, dass ältere Wolfsmenschen dich wiedererkennen. Oder zumindest deine … Duftnote?«
»Neuschnee
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