Dreimond - Das verlorene Rudel
in dem stillen, düsteren Fuchsbau herumsaß, in dem sie nun schon viel zu lange und viel zu tatenlos auf Lex und Serafin warten musste. Minuten fühlten sich in dieser unausstehlich engen Höhle wie Stunden an. Je länger sie auf dem weichen, erdigen Boden saß, in den sie zur Ablenkung ein Muster nach dem anderen ritzte, je mehr bereute sie es, Lex allein losgeschickt zu haben.
Unruhig sah sie zu Carras, der am Höhleneingang hockte. Seit sie in dem Versteck angekommen waren, hatte der Wolfsjunge kein Wort mehr von sich gegeben. Sein Gesicht aber sprach Bände. Gerade jetzt blickte Carras so hoffnungslos drein, dass Fiona sich kurzerhand aufrappelte, zu ihm ging und ihm aufmunternd zulächelte.
»Keine Sorge, Carras!«
Fest, wohl ein wenig zu fest, klopfte sie ihm auf die Schulter.
Carras drehte ihr den Rücken zu.
»Ach, komm schon! Kopf hoch!«, meinte Fiona. Da bemerkte sie, dass sie beim Schulterklopfen eine Ladung Erdklümpchen auf Carras’ hellem Wams hinterlassen hatte. Eilig wischte sie mit dem Handrücken darüber.
»Lex wird kommen. Mit Serafin! Darauf kannst du dich verlassen!«
»Selbst wenn Serafin kommt …«, flüsterte Carras und brach ab. »Ach … es ist nichts!«
Forschend sah sie ihn an. »Du hast Angst davor, ihn wiederzusehen …?«
»Ich …«, wollte Carras ihr erklären, da brach er plötzlich ab, packte Fiona und riss sie tiefer in die Dunkelheit der Höhle. »Da … da kommt jemand!«
*
In Fangzahns Kleider gehüllt, die Pelzmütze tief über seinen Kopf gezogen, trat Lex aus der Vorratskammer. Nervös umklammerte er den Revolver in seiner Hosentasche, hoffte, ihn kein zweites Mal benutzen zu müssen.
Noch immer war es still auf dem Burghof. Noch immer verschleierten Wolken die Morgensonne . Als Lex aus den Augenwinkeln sah, wie der Wächter vor dem Roten Turm zu ihm herüberspähte, versuchte er die Handbewegung nachzuahmen, mit der Fangzahn den Wolfsmann vorhin zurückgehalten hatte. Jede Sekunde erwartete er, angegriffen zu werden, doch der Wächter blieb auf seinem Posten, als Lex an ihm vorüberging. Zum Glück war es nicht der Rote Turm, in dem er Serafin vermutete. Seine einzige Spur führte zu dem vergitterten Kellerfenster, das ihm ins Auge gefallen war. Lex schloss die Augen und konzentrierte sich auf den Geruch seines Leitwolfs. Es war tatsächlich möglich, dass er dort unten war. Sicher führte die Tür nahe dem Fenster in den Kellerraum. Aber wenn dort unten ein Gefangener eingesperrt war, warum stand dann hier kein Wächter? Trotz seines Zweifels ging er wie selbstverständlich zu der Tür und beobachtete unauffällig den steifen Kerl vorm Roten Turm. Er drückte die Klinke herunter und konnte kaum fassen, dass die Tür tatsächlich aufging. Erleichtert riss er sie auf – und begriff, warum draußen ein Wächter fehlte. Der saß in dem winzigen Vorraum, der zu einer zweiten, mit einem Schloss versperrten Tür führte. Er blinzelte zu dem lichtdurchfluteten Türeingang und verzog die Nase.
»Fangzahn?«
Mit einem verlegenen Räuspern schloss Lex die Tür hinter sich und überlegte fieberhaft, was nun zu tun sei, als der alte Wolf die Nase rümpfte.
»Du bist nicht Fangzahn. Wer bist du?«
»Ich, also … Hände hoch!«, war das Einzige, was Lex einfiel. Verblüfft starrte der Wächter ihn an, als Lex mit dem gezogenen Revolver nervös in Richtung Kellertür deutete.
»Ist Serafin da drin?«
Der Grauhaarige blickte verwirrt von ihm zu dem rostigen Revolver.
»Ich kenne keinen Serafin …«
»Her mit dem Schlüssel!«
Der hagere Wächter schüttelte nur ungläubig den Kopf. »Ist das einer von Weißbarts Scherzen?«, murmelte er.
»Ich mein’ es ernst!«, fuhr Lex ihn an.
Da erklang kaum hörbar eine Stimme hinter der Gefängnistür.
»Lex …? Bist du das?«
»Serafin!«
Sein Herz machte einen Sprung. Er war hier! Er war wirklich hier!
»Los, gib ihn mir endlich!«, brüllte er den Wächter an.
Langsam zog der Grauhaarige einen Schlüsselbund aus seiner Westentasche.
Lex riss ihn ihm aus der Hand.
»Du kommst ohnehin nicht weit«, meinte der Alte achselzuckend.
»Verschwinde von hier!«, klang Serafins Stimme aus der Gefängniskammer. Ohne darauf zu achten, eilte Lex zur Tür.
»Du rührst dich nicht!«, zischte er dem Wächter zu und nestelte ein paar schier unendlich lange Atemzüge lang an dem alten Schlüsselbund herum, fand endlich den passenden Schlüssel, steckte ihn ins Schloss, drehte ihn zweimal um, hielt den Atem
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