Dreimond - Das verlorene Rudel
anmutige Frau. Ihr langes goldenes Haar war lose zur Seite gebunden, nur ein paar Strähnen umspielten ihr sonnengebräuntes Gesicht. Ihr dunkles Kleid reichte beinahe bis zu den Stiefeln.
Noch nie war Fiona einer Frau begegnet, die zur selben Zeit so schön und so stark wirkte.
Die Fremde betrat den Hof und blieb vor ihnen stehen, ihren Kopf hoch erhoben. Jeder Schritt verriet die Geschmeidigkeit eines Raubtiers , und als sie Fiona kurz mit ihren fesselnd grünen Augen musterte, ehe sie herausfordernd zu Serafin sah, empfand Fiona tiefe Bewunderung, doch ein zweites Gefühl stahl sich in ihr Herz, das sie vergeblich zu unterdrücken versuchte, Neid.
*
Teufel noch mal, diese Frau war sogar noch schöner, als Lex es sich ausgemalt hatte! Ja, er war hundemüde, aber allein der göttliche Duft der Fremden, der ihn selbst heute, nach der Vollmondnacht, wo seine Sinne getrübt waren wie an keinem anderen Tag, betörte, war Grund genug, sich zusammenzureißen. Halt die Augen auf, Mann, so was kriegst du nicht alle Tage zu sehen, sagte er sich, wann immer die Müdigkeit ihn zu übermannen drohte.
Bis jetzt honorierte die geheimnisvolle Fremde seine Bemühungen, sich aufrecht zu halten, scheinbar reichlich wenig. Sie hatte nur Augen für Serafin.
Nichts da, Süße, der Kerl hat dich lang genug für sich allein gehabt. Lex schob sich kurzerhand zwischen die beiden und griff nach der zarten Hand der Fremden.
»Hallo, meine Schöne! Man nennt mich Lex – das bedeutet soviel wie ›das Gesetz‹ –, weil ich nach meinen eigenen Regeln lebe!«
Fiona prustete laut los.
Lex beachtete die Nervensäge nicht, blickte nur auf die blassen Lippen der Schönen, auf denen sich für Sekunden ein Lächeln andeutete.
»Mein Name ist Neuschnee«, stellte sie sich ihm vor »Willst du mich nicht hereinbitten?«, wandte sie sich wieder an Serafin.
»Ich glaube nicht«, sagte Serafin beinahe drohend.
Lex traute seinen Ohren kaum.
Zu allem Überfluss meldete sich auch noch Fiona zu Wort. »Das hier ist mein Haus!«
»Ach, die beiden meinen’s nicht so«, schaltete sich Lex ein, ehe diese zwei Stoffel die Schöne noch ganz vergraulten. »Komm Neuschnee, tritt ein! Nach so einer Vollmondnacht bist du bestimmt müde, du sehnst dich sicher nach einem warmen Plätzchen. Hier entlang, bitte, komm nur!«
»Bist du sicher, dass sie eine Wolfsfrau ist?«, raunte ihm Fiona aufgeregt zu.
»Natürlich ist sie das!«, verkündete er für alle hörbar. »Einfaches Menschenblut bringt so etwas Schönes nicht zustande!«
Ohne sein Kompliment zu beachten, trat die Fremde anmutig ein.
Lex folgte ihr eilig. Die finsteren Blicke von Fiona und Serafin, die er in seinem Rücken spürte, kümmerten ihn wenig, als er – möglichst nah – hinter Neuschnee herspazierte. Zielsicher ging sie in die Küche und betrachtete Carras, der noch immer zusammengerollt auf der Küchenbank schlief.
Serafin schob sich an Lex vorbei, packte die Wolfsfrau an der Schulter und drehte sie zu sich herum.
»Neuschnee – was willst du?«, presste er hervor.
Die Wolfsfrau schob sachte seine Hand von ihrer Schulter.
»Ach, Schattenklaue, so unausgeglichen kenne ich dich ja gar nicht …«
Sie nahm vorsichtig neben Carras Platz und spielte zärtlich mit seinen hellen Locken.
»Hände weg!«, herrschte Serafin sie an.
Unbeeindruckt hob sie erst den linken, dann den rechten Ellenbogen auf den Tisch und legte ihr Kinn auf die verschränkten Hände.
Serafin zog einen Stuhl heran, setzte sich ihr gegenüber und erwiderte ernst ihren Blick.
Lex ließ sich zögernd auf den Stuhl neben dem Leitwolf nieder. Ihm gefiel es ganz und gar nicht, wie sich die Sache entwickelte. Was ist nur los mit Serafin?
Die Stimmung im Raum war erdrückend. Er konnte es fast nicht mehr aushalten, wie der Leitwolf und die Fremde unbeweglich dasaßen und sich anstarrten. Er schielte zu Fiona, die es offenbar vorzog, mit verschränkten Armen und einer Schnute, die ihre Unzufriedenheit belegt, stehen zu bleiben. Nicht einmal sie, die sonst so vorlaut war, brachte scheinbar ein Wort heraus.
Schließlich hielt er die beklemmende Stille nicht mehr aus. »Also, Neuschnee«, setzte er betont locker an. »Wo kommst du denn eigentlich her? Ist ja recht ungewöhnlich, dass eine Frau so ganz allein im Wald herumstreift!«
»Ich bin schon lange auf der Reise«, entgegnete sie, ohne ihren Blick von Serafin zu wenden.
»Ganz allein?«, hakte Lex nach.
Neuschnee spannte ihren Nacken; ihre zarten
Weitere Kostenlose Bücher