Dreimond - Das verlorene Rudel
gelassen, schließlich hatte er Alkarn versprochen, auf dessen Liebste achtzugeben. Zum Abschied nickte er den Männern noch einmal zu, verzückt von der Schauspielkunst, mit der er so gekonnt einen gewöhnlichen Menschenmann gemimt hatte.
»Einen Moment noch!«
Bluter spürte eine Hand auf dem Rücken. Fauchend fuhr er herum.
Erschrocken zog der ältere der Männer seine knochigen Finger zurück. »Fremder, ich wüsste zu gern, wer du bist und wohin du reist!«
»Ich?« Bluter schenkte dem Mann sein nettestes Lächeln. »Ich bin ein reicher Mann auf Reisen«, erklärte er selbstzufrieden und fuhr sich über seine feine Weste.
»Ein reicher Mann?« Schrill lachte der Jüngere auf. »G-ganz allein unterwegs und bis auf eine komische Bluse in zerf-fledderte Lumpen gehüllt? Gell, Hannes, und w-wir zwei sind Prinzen!«
»Wie war das?« Bluter fletschte die Zähne.
Der Bengel stolperte drei Schritte rückwärts, als Bluter mit einem Mal ein Klicken vernahm. Grinsend drehte er sich zu dem Alten um, der in seinen zitternden, faltigen Händen einen Revolver hielt, dessen Lauf auf Bluters Brust zeigte.
»Fremder!«, zischte der Alte mit finsterer Miene. »Ich frage mich schon die ganze Zeit, die Schmiere an deinem Bart – ist das Blut?«
Ertappt fuhr Bluters Hand zu seinem Kinn. Was für ein Ärger – da hatte er sich wohl nicht gründlich genug gewaschen. Und dabei hatte er Neuschnee versprochen, sich heute unauffällig zu verhalten.
»Aber, aber!«, rief er und lachte. »Ich kann das alles erkl…«
»Schluss damit«, krakeelte der Alte, hinter den sich der Jüngere schob. »Ein einzelner Mann treibt sich allein am Waldesrand herum, wäscht sich am Tag nach einem grausigen Mord die Kleider, stellt verdächtige Fragen, und will nicht sagen, woher er kommt – Fremder, du gehst jetzt mit uns zurück ins Dorf!«
» U-und keine Mätzchen!«, stotterte der Jüngere aufgeregt.
»Ist das euer letztes Wort?«, seufzte der Wolfsmann.
»Was soll die Frage?«, knurrte der Alte.
Bluter lächelte. »Zu schade.«
Zwei heisere Schreie ertönten.
Panisch wieherten die Pferde auf, rissen sich von ihren Stricken los und galoppierten davon.
Ohne ihre Reiter.
*
Serafin sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen. Voller Sorge musterte Fiona den Wolfsmann, der da mit blassem Gesicht, eingefallenen Wangen und tiefen Ringen unter den Augen am Küchentisch saß und dorthin starrte, wo Carras und Neuschnee friedlich nebeneinanderlagen und schliefen. Er verkrampfte seine Hände ineinander.
Sie wollte nach ihnen greifen, ihm sagen, dass er mit ihr über alles reden konnte. Weil sie ihn gern hatte.
»Willst du dich nicht ausruhen?«, sagte sie stattdessen leise. »Ich könnte hier solange die Stellung halten.«
Langsam wandte sich der Schwarze ihr zu, so als hätte sie ihn aus einem tiefen Traum gerissen.
»Woran hast du gedacht?«
»An früher.«
»An Carras? Doch nicht etwa an … Neuschnee?«
Serafin musste lächeln.
»Das lässt sich nicht so leicht trennen, Mädchen.« Seine Stimme klang noch immer tieftraurig.
»Wieso?«
Keine Antwort, nur sein viel zu ernster Gesichtsausdruck. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie aufmunternd.
»Hör zu, wenn diese Frau dich unglücklich macht, werfen wir sie doch einfach …«
»Mädchen«, unterbrach er sie leise, »bitte lass mich allein. Du bist sicher müde. Du könntest auf dein Zimmer gehen.«
Ihr blieben die Worte im Halse stecken. Empört zog sie die Hand zurück. Das war ihr Haus, ihre Küche – niemand hatte das Recht, sie hier fortzuschicken! Trotzdem sprang sie auf und stürmte zur Tür hinaus. Er hält mich für ein Kind! Für ein dummes, kleines Mädchen!
Sie rannte ins Freie, über den Hof in den Schweinestall, riss die Tür auf, schlug sie hinter sich zu und warf sich mit pochendem Herzen ins Stroh. Sie verbarg ihr Gesicht zwischen den Halmen, verwünschte sich, Serafin und, ach, den ganzen Morgen, und verbot sich zu heulen – bloß, weil sie so blöd gewesen war, zu glauben, dass er jemanden wie sie …
Gekränkt kroch sie schließlich durch das Stroh und suchte Desiree. In der hintersten Ecke des Stalls lag die Sau, den prallen Bauch in Richtung Tür gestreckt, und döste. Desiree grunzte mürrisch, als Fiona ihr liebkosend über das borstige Fell strich.
Sie stöhnte. War denn heute, an diesem tristen, kalten Morgen, wirklich jedes Wesen weit und breit schlecht gelaunt und müde? Erst die Wolfsmänner und nun auch noch die Sau!
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