Dreizehn bei Tisch
sich. Ich habe niemanden gesehen.«
»Die Augen meines guten treuen Hastings!«, sagte Poirot mit einem leisen Anflug von Spott. »Sagen Sie mir, mon cher, haben Sie die Rose zwischen meinen Lippen bemerkt?«
»Die Rose zwischen Ihren Lippen?«
Japp prustete vor Lachen. »Bei Gott, Monsieur Poirot, Sie werden nochmal meinen Tod auf dem Gewissen haben! Eine Rose! Und was kommt nun dran?«
»Ich hatte Lust, Carmen zu spielen«, erklärte der Belgier ganz ungerührt. »Sie haben es also nicht bemerkt, Hastings?«
»Nein«, gab ich kleinlaut zu, weil ich einen Vorwurf in seiner Stimme zu hören glaubte. »Aber ich konnte Ihr Gesicht ja nicht sehen.«
»Macht nichts!« Er winkte lässig mit der Hand.
»Dann möchte ich jetzt die Tochter nochmal sprechen«, ließ sich der Inspektor vernehmen. »Sie war heute Früh zu aufgeregt, um eine vernünftige Aussage machen zu können.«
Kurz darauf trat jedoch nicht Miss Marsh, sondern Miss Carroll über die Schwelle.
»Geraldine schläft«, sagte sie. »Das arme Ding hatte einen Schock. Ich gab ihr heute Morgen ein Beruhigungsmittel, und nun schläft sie fest. In zwei Stunden vielleicht, ja, Inspektor?«
Japp nickte zustimmend.
»Überhaupt gibt es nichts, über das ich Ihnen nicht ebenso gut Auskunft erteilen könnte«, setzte die Sekretärin hinzu.
»Was halten Sie von dem Butler, Miss Carroll?«, fragte Poirot.
»Er ist mir unsympathisch – das will ich nicht leugnen. Aber ich kann nicht sagen, warum. Gefühlssache, Monsieur Poirot.«
Wir waren unterdessen an der Haustür angelangt.
»Nicht wahr, dort oben haben Sie gestern Abend gestanden, Mademoiselle?« Mein Freund wies die Treppe hinauf.
»Ja. Warum?«
»Und Sie sahen Lady Edgware quer durch die Halle zum Bibliothekszimmer gehen?«
»Ja.«
»Sie haben ihr Gesicht deutlich gesehen?«
»Gewiss.«
»Mais, Mademoiselle! Sie konnten es ja gar nicht sehen… Von der Stelle aus, wo Sie sich befanden, können Sie nur ihren Hinterkopf gesehen haben.«
Miss Carroll errötete. »Ihr Hinterkopf, ihre Stimme, ihr Gang! Das läuft alles auf dasselbe hinaus. Völlig unverkennbar! Ich versichere Ihnen: Ich weiß, dass es Jane Wilkinson war – die abgefeimteste Person, die man sich denken kann.«
Und nach diesem vernichtenden Urteil rannte sie die Treppe hinauf.
8
J app riefen dienstliche Pflichten, während Poirot und ich in den Regent’s Park einbogen und uns eine ruhige Bank suchten.
»Jetzt erkenne ich den Zweck der Rose zwischen Ihren Lippen«, meinte ich lachend. »Zuerst freilich fragte ich mich, ob Sie oder ich verrückt geworden seien.«
Mein Freund nickte ernst, ohne in mein Lachen einzustimmen.
»Hoffentlich erkennen Sie auch, welch gefährliche Zeugin die Sekretärin ist, Hastings. Gefährlich, weil ungenau. Haben Sie gehört, wie sie anfänglich steif und fest behauptete, das Gesicht der Besucherin gesehen zu haben? Ich hielt es gleich für ausgeschlossen. Beim Herauskommen aus der Bibliothek – ja; doch nimmermehr beim Hineingehen. Infolgedessen stellte ich meinen kleinen Versuch an und baute ihr dann eine Falle.«
»Aber ihren Glauben haben Sie trotzdem nicht erschüttert«, wandte ich ein. »Und sind nicht schließlich Stimme und Gang einer Person unverkennbar?«
»Nein, nein.«
»Mein Lieber, man hört doch allgemein, dass Stimme und Gang die kennzeichnendsten Merkmale sind!«
»Gewiss. Und deshalb auch jene, die am leichtesten nachgeahmt werden können. Lassen Sie Ihre Gedanken doch nur einige Tage zurückwandern – bis zu jenem Abend, als wir im Theater…«
»Carlotta Adams? Poirot, aber dann ist sie ein Genie!« Ein toller Gedanke schoss durch mein Hirn. »Um Gottes willen, Sie halten es doch nicht für möglich… Nein, nein, Poirot, das hieße vom zufälligen Zusammentreffen allzu viel verlangen. Weshalb sollte überdies Carlotta Adams Lord Edgware nach dem Leben trachten? Sie kennt ihn nicht einmal.«
»Woher wissen Sie, dass sie ihn nicht kennt? Setzen Sie nicht so keck einfach Dinge voraus, Hastings. Es mag sehr wohl zwischen ihnen ein Band bestanden haben, von dem wir nichts ahnen. Aber das gehört eigentlich nicht zu meiner Theorie.«
»Sie haben also eine Theorie?«
»Ja. Die Möglichkeit von Carlotta Adams’ Mitwirkung fasste ich von Anfang an ins Auge.«
»Aber, Poirot – «
»Langsam, Hastings. Lassen Sie mich einige Tatsachen zusammenstellen. Schwatzhaft, wie sie ist, erörtert Lady Edgware unverblümt die Beziehungen zwischen sich und ihrem Mann und geht sogar
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