Dreizehn bei Tisch
gleichzeitig an zwei verschiedenen Plätzen war. Wer von ihnen spricht nun die Wahrheit?«
»Das müsste sich doch mit Leichtigkeit feststellen lassen!«
»Sie haben gut reden, Monsieur Poirot! Aber diese Sekretärin – Miss Carroll – kennt Lady Edgware unbedingt. Ich will sagen, sie lebte Tag für Tag mit ihr im gleichen Haus, und ein Irrtum ist daher ziemlich ausgeschlossen.«
»Das werden wir bald sehen.«
»Wer erbt den Titel?«, mischte ich mich ein.
»Ein Neffe, Captain Ronald Marsh. Soll eine etwas verschwenderische Ader haben, wie ich hörte.«
»Und wie lautet das ärztliche Gutachten hinsichtlich der Todesstunde?«, nahm Poirot wieder das Wort.
»Ein abschließendes Urteil kann erst die Autopsie ergeben. Man muss sehen, wieweit das Dinner schon in den Bauch gerutscht ist, verstehen Sie?« Ich muss gestehen, dass Japp eine etwas unfeine Art hatte, die Dinge zu schildern. »Aber zehn Uhr passt sehr gut zu dem vorläufigen Befund«, ergänzte er. »Einige Minuten nach neun, als er vom Tisch aufstand und der Butler Whiskey und Soda in die Bibliothek hinübertrug, ist Lord Edgware zuletzt lebend gesehen worden. Da um elf das Licht nicht mehr brannte, muss er zu dieser Stunde tot gewesen sein. Er würde sicherlich nie im Dunkeln gesessen haben.«
Poirot nickte stumm, und ein wenig später fuhren wir von Neuem zu jenem palastartigen Haus, dessen Jalousien jetzt herabgelassen waren.
Wieder öffnete uns der schöne Butler.
Japp, der sich als Führer fühlte, ging voraus. Poirot und ich folgten. Die Tür schlug nach links auf, sodass der Butler beim Zurücktreten auf dieser Seite stand. Poirot schritt rechts von mir, und infolge seiner Kleinheit bemerkte ihn der Butler erst, als wir in die Halle traten. Ich, der ich mich dicht neben ihm befand, hörte plötzlich einen jähen, unregelmäßigen Atemzug, fast ein Aufjapsen, und gewahrte, wie der Mann in unverkennbarer Furcht auf das Gesicht des kleinen Belgiers starrte. Aber mir fehlte die Zeit, über diesen Zwischenfall nachzudenken, denn Japp, der schnurstracks ins Speisezimmer spazierte, rief den Butler zu sich.
»Alton, ich möchte die Einzelheiten noch einmal sorgfältig mit Ihnen durchgehen. Also um zehn Uhr kam die Dame?«
»Die gnädige Frau? Ja, Sir.«
»Wieso haben Sie sie erkannt?«, wollte Hercule Poirot wissen.
»Sie nannte ihren Namen, Sir. Außerdem aber habe ich sie oft in den Zeitungen abgebildet gesehen, und einmal war ich in einer Vorstellung, in der sie auftrat.«
»Wie war sie gekleidet?«
»In Schwarz, Sir. Sie trug ein schwarzes Kleid und einen kleinen schwarzen Hut. Dazu eine Perlenkette und graue Handschuhe.«
Poirot blickte fragend zu Japp hinüber.
»Weißes Taftabendkleid und Hermelincape«, sagte dieser bissig.
Der Butler führte seine Schilderung zu Ende, und sie stimmte genau mit dem überein, was Japp uns bereits mitgeteilt hatte.
»Empfing Ihr Herr an jenem Abend noch einen anderen Besuch?«, forschte mein Freund.
»Nein, Sir.«
»Wie war die Haustür gesichert?«
»Sie hat ein Yaleschloss, Sir. Überdies schiebe ich um elf, bevor ich zu Bett gehe, die Riegel vor. Vergangenen Abend besuchte Miss Geraldine indes die Oper, sodass ich nicht abriegelte.«
»Und heute Morgen?«
»Da war sie verriegelt, weil Miss Geraldine bei ihrer Heimkehr die Riegel vorgeschoben hatte.«
»Wissen Sie, um wie viel Uhr sie heimkehrte?«
»Ich denke ungefähr um Viertel vor zwölf, Sir.«
»Wie viele Hausschlüssel sind vorhanden?«
»Der gnädige Herr hatte seinen eigenen; ein zweiter wurde in einer Schublade in der Halle aufbewahrt. Ob es außer diesen beiden noch mehr gibt, weiß ich nicht. Miss Carroll läutet jedenfalls immer.«
Hercule Poirot gab zu verstehen, dass er keine weiteren Fragen hatte, und wir begaben uns auf die Suche nach der Sekretärin.
Emsig schreibend saß sie an einem riesigen Tisch. Eine angenehme Erscheinung, etwa fünfundvierzig Jahre alt. Ihr blondes Haar begann zu ergrauen, und durch die Brille betrachteten uns ein Paar kluge blaue Augen. Als sie sprach, erkannte ich sofort die klare, sachliche Stimme, die ich tags zuvor am Telefon gehört hatte.
»Ah, Monsieur Poirot!«, sagte sie. »Mit Ihnen traf ich gestern Morgen die Verabredung, nicht wahr?«
»Sehr richtig, Mademoiselle.«
Mir schien, dass Freund Poirot einen günstigen Eindruck von ihr gewann, und auch ich traute ihr absolute Zuverlässigkeit zu.
»Nun, Inspektor Japp, was kann ich noch für Sie tun?«, fragte sie jetzt.
»Mir
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