Dreizehn bei Tisch
ausgeschlossen, dass Carlotta Adams telefonieren wollte, um ihren Erfolg zu verkünden. Freilich, wo hielt sie sich zwischen zehn Uhr zehn und Mitternacht auf? Verbrachte sie diese Zeit in Gesellschaft des Anstifters, so mag der Telefonanruf gut und gern auch nur einer x-beliebigen befreundeten Person gegolten haben.«
»Und der zweite Fingerzeig?«
»Ach, auf den setze ich nur geringe Hoffnung. Der Brief, Hastings. Der Brief an die Schwester. Es ist möglich – ich sage nur möglich –, dass sie die ganze Angelegenheit in ihm beschrieb. Da man den Brief erst eine Woche später und zudem in einem anderen Land lesen würde, mag sie eine solche Beichte nicht als Vertrauensbruch aufgefasst haben. Aber, wie gesagt, Hastings, meine Hoffnung ist gleich Null. Nein, wir müssen die Sache vom anderen Ende her anpacken.«
»Was nennen Sie das andere Ende?«
»Eine sorgfältige Suche nach jenen, denen der Tod Lord Edgwares Vorteile bringt.«
Ich zuckte die Schulter. »Außer seinem Neffen und seiner Frau – «
»Und dem Mann, den seine Witwe zu heiraten beabsichtigte«, fiel Poirot mir ins Wort.
»Der Herzog? Er ist in Paris.«
»Zugegeben. Trotzdem steht er nicht außerhalb des fraglichen Kreises. Und dann das Hauspersonal: der Butler, die anderen dienstbaren Geister. Wer weiß, welchen Groll sie gehegt haben! Aber unser weiteres Vorgehen leiten wir meines Erachtens am besten damit ein, dass wir uns noch einmal mit Jane Wilkinson unterhalten. Sie ist gewitzt; sie bringt uns möglicherweise auf eine Spur.«
Also lenkten wir unsere Schritte zum Savoy, wo wir die Schauspielerin, umgeben von Schachteln und Kartons und Seidenpapier, vorfanden, während über der Lehne jedes Sessels, jedes Stuhls sich kostbare schwarze Gewänder ausbreiteten. Jane probierte mit ernstem, konzentriertem Ausdruck gerade einen weiteren schwarzen Hut vor dem Spiegel an.
»Oh, Monsieur Poirot? Nehmen Sie Platz. Ellis, rasch, mach bitte mal zwei Stühle leer.«
»Madame, Sie sehen bezaubernd aus!«
Jane betrachtete ausgiebig ihr Spiegelbild.
»Ich will ja nicht heucheln, Monsieur Poirot, doch man muss einen gewissen Anschein wahren, nicht? Übrigens habe ich ein reizendes Telegramm vom Herzog erhalten.«
»Aus Paris?«
»Ja, aus Paris. Natürlich mit der nötigen Vorsicht abgefasst, sodass es für Fremde wie Beileidsworte klingt, immerhin aber so gehalten, dass ich zwischen den Zeilen lesen kann.«
»Meine Glückwünsche, Madame.«
»Monsieur Poirot.« Sie faltete die Hände, dämpfte die Stimme. Wie ein Engel, der im Begriff steht, Gedanken hehrster Heiligkeit zu verkünden, sah sie aus. »Je mehr ich nachdenke, desto mehr erscheint mir das Ganze wie ein Wunder. Hier stehe ich, erlöst von allen Sorgen. Keine langweilige, unangenehme Scheidung. Keine Scherereien. Glatt und eben liegt mein Weg vor mir. Wissen Sie, es durchströmt mich beinahe ein Gefühl frommer Dankbarkeit.«
Ich hielt vor Staunen und Entsetzen den Atem an.
»Ja, es hat sich alles trefflich für mich gefügt«, fuhr Jane beinahe ehrfürchtig fort. »In letzter Zeit habe ich so häufig gedacht: Wenn Edgware doch nur stürbe!… Und eins, zwei, drei! ist er tot! Man könnte beinahe meinen, es sei eine Antwort auf mein Gebet.«
Poirot musste seine Kehle durch ein Räuspern freimachen, ehe er sagte: »Leider kann ich nicht behaupten, dass ich die Dinge im gleichen Licht sehe, Madame. Irgendjemand tötete Ihren Gatten.«
»Natürlich«, gab sie unumwunden zu.
»Haben Sie noch nicht darüber nachgedacht, wer wohl der Mörder gewesen ist?«
Ihre blauen Augen ruhten in heller Verwunderung auf Poirots Gesicht. »Was geht das mich an? In vier oder fünf Monaten können der Herzog und ich getraut werden…«
Mit Mühe nur behielt mein Freund die Beherrschung.
»Das weiß ich, Madame. Aber davon abgesehen: Haben Sie sich nie die Frage gestellt, durch wessen Hand Ihr Gatte starb?«
»Nein.« Sie blickte nachdenklich auf den Hut in ihrer Hand, ganz überrascht von Poirots Zumutung. »Nein, wirklich nicht.«
»Interessiert es Sie denn nicht, es zu erfahren?«
»Offen gestanden, nicht allzu sehr. Vermutlich wird die Polizei den Täter über kurz oder lang erwischen; sie soll ja sehr findig sein.«
»Auch ich werde meinen Ehrgeiz daran setzen, findig zu sein, Madame.«
»Sie auch? Wie komisch!«
»Warum komisch?«
»Gott… ich weiß eigentlich nicht.« Ihre Augen wanderten zu den Kleidern zurück. Dann griff sie nach einem Mantel, streifte ihn über und musterte sich im
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