Dreizehn bei Tisch
dieser Seite deutlich sehen musste. Und des Weiteren entsann ich mich, dass Jane Wilkinson – zufällig hatte ich es neulich abends bemerkt – ein winziges Mal unweit des linken Augenwinkels hatte.
Aufgeregt teilte ich meine Beobachtung den beiden mit, und Poirot gab mir Recht.
»Vous avez parfaitement raison, Hastings. Das erklärt den Kauf des linksseitigen Hutes.«
»Monsieur Poirot.« Jenny saß plötzlich kerzengerade. »Sie können doch nicht eine Sekunde auch nur daran denken, dass Carlotta ihn ermordete? Nicht wahr, das denken Sie nicht, obwohl sie so erbittert von ihm sprach?«
»Nein, das denke ich nicht. Aber ich möchte gern den Grund für dieses harte Urteil kennen. Was hat er verbrochen? Was wusste sie von ihm, das sie zu solcher Erbitterung hinriss?«
»Das weiß ich nicht. Aber dass sie ihn nicht tötete, dafür bürge ich. Sie war dafür zu… zu kultiviert, zu fein.«
»Da haben Sie Recht, Mademoiselle! Ich selbst hätte es psychologisch nicht besser erfassen können. Wissenschaftliche Erfahrung war bei dem Verbrechen im Spiel, aber keine Feinheit.«
»Wissenschaftliche Erfahrung?«
»Ja, Mademoiselle. Der Mörder wusste ganz genau, wo er die Mordwaffe ansetzen musste, um das Hauptnervenzentrum am Ende des Schädels zu treffen.«
»Das deutet ja beinahe auf einen Arzt hin.«
»Kannte Miss Adams irgendeinen Arzt näher?«
»Nein. Wenigstens hat sie mir gegenüber nie einen erwähnt.«
»Trug sie aber vielleicht einen Kneifer?«
»Carlotta? Bei ihren guten Augen? Welch drollige Frage, Monsieur Poirot!«
»Ah!« Mein Freund furchte grübelnd die Stirn.
In meiner Fantasie tauchte plötzlich das Bild eines Doktors auf, der betäubende Karboldünste um sich verbreitete und mit kurzsichtigen Augen durch dicke Gläser stierte. Eine scheußliche Vorstellung!
»Hat Miss Adams übrigens den Filmschauspieler Martin Bryan gekannt?«, riss mich Hercule Poirots Stimme in die Wirklichkeit zurück.
»Gewiss. Eine Bekanntschaft, die sogar bis in die Kinderzeit zurückreicht. Trotzdem sahen sie sich nur hier und da. Sie behauptete, er sei durch seine Erfolge sehr aufgeblasen geworden.« Besorgt schaute Jenny Driver auf ihre Armbanduhr. »Du meine Güte, ich muss los! Bin ich Ihnen überhaupt behilflich gewesen, Monsieur Poirot?«
»Sehr. Und ich werde Ihre Hilfe auch weiterhin in Anspruch nehmen.«
»Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung. Irgendjemand zettelte diese Teufelei an. Oh, wir werden den Schurken schon aufspüren!«
Sie schüttelte uns beiden kräftig die Hand, ließ ihre weißen Zähne in einem flüchtigen Lächeln aufblitzen und stob davon.
»Ein Persönchen, das das Herz auf dem rechten Fleck hat«, sagte Poirot, als er die Rechnung beglich.
»Mir gefällt sie auch.«
»Es tut immer wohl, wenn man einem hellen Verstand begegnet, Hastings.«
»Ein bisschen mehr Gefühl könnte ihr freilich nicht schaden«, bemerkte ich. »Die Nachricht von dem jähen Ende ihrer Freundin warf sie viel weniger aus dem Gleichgewicht, als ich befürchtet hatte.«
»Was wollen Sie? Sie gehört nicht zu den Menschen, die gleich in Tränen ausbrechen«, gab Hercule mir auf seine Art Recht.
»Hat Sie die Unterredung wenigstens befriedigt?«
»Nicht völlig. Ich hoffte, einen Fingerzeig hinsichtlich der Identität des D. des Gebers der rubinengeschmückten Golddose, zu erhalten. Und das ist mir nicht gelungen. Unglücklicherweise war Carlotta Adams eine verschlossene Natur, die ihre Liebesgeschichten nicht vor Freundinnen ausbreitete. Andererseits braucht der unbekannte Urheber des so genannten Possenspiels ihrem Herzen gar nicht nahegestanden zu haben, sondern kann ein oberflächlicher Bekannter gewesen sein, der den ›Scherz‹ unter dem Deckmantel einer Wette in die Wege leitete und ihn ihr durch die Aussicht auf einen hohen Gewinn schmackhaft zu machen verstand. Dieser Unbekannte hat die Golddose möglicherweise in ihrem Besitz gesehen und sich eine Gelegenheit verschafft, deren Inhalt festzustellen.«
»Aber wie in aller Welt bewog man sie, das Gift zu nehmen? Und wann?«
»Mon cher, erinnern Sie sich, dass die Wohnungstür während der Zeit, als die Haushälterin den Brief zur Post trug, nicht abgeschlossen war? Doch offen gestanden, diese Theorie befriedigt mich nicht, Hastings, sie räumt dem Zufall zu viele Möglichkeiten ein. Also jetzt – an die Arbeit! Wir haben noch zwei Fingerzeigen nachzugehen.«
»Die sind?«
»Zunächst der Telefonanruf bei dem Amt Victoria. Es ist nicht
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